So überredete Charlotte Roche ihren Mann zu einem ganz intimen Podcast
Charlotte Roche spricht mal wieder Klartext: In ihrem Spotify-Podcast "Paardiologie", den sie gemeinsam mit ihrem eigentlich öffentlichkeitsscheuen Mann macht, und auch im Interview.
Charlotte Roche (41, "Feuchtgebiete") ist zurück! Mit ihrem sonst eher öffentlichkeitsscheuen Ehemann (Martin Keß) seziert die Bestseller-Autorin und TV-Moderatorin im Spotify-Original-Podcast "Paardiologie" (ab 21. Juni, freitags, 00.01 Uhr) offen ihre 15-jährige Beziehung. Liebe, Sex, Kindererziehung, Haustiere, Finanzen – erbarmungslos ehrlich sprechen beide in 15 einstündigen Folgen über ihre Probleme. Das Ganze bewegt sich irgendwo zwischen Selbsttherapie und Reality-Show. Vorab trafen wir Roche in Hamburg für ein enthusiastisches Gespräch über den Status Quo ihrer Liebe.
prisma: Frau Roche, wenn man Ihrem Podcast lauscht, in dem Sie und Ihr Mann Martin über intimste Beziehungssachen reden – sollte man sich als Hörer dann schlecht fühlen, weil man Sie ja nicht mal persönlich kennt?
Charlotte Roche: Es hat natürlich etwas sehr Voyeuristisches, vor allem, weil wir als Paar da hingehen wollen, wo es weh tut. Denn wenn ich etwas mache, dann ja richtig, ne? Wir wollen auf keinen Fall, dass das an der Oberfläche bleibt, sondern sehr viel preisgeben und knallhart ehrlich sein. Gerade auch, wenn es darum geht, wo es nicht gut lief, und wo es immer noch scheiße ist. Und je nachdem, wie man erzogen wurde und was für ein Typ man ist, hört man sich das dann an und hat vielleicht ein schlechtes Gewissen. Es kann natürlich auch sein, dass sich einer an einer Stelle schämt oder fremdschämt, und der andere findet genau das lustig.
prisma: Bei dem kleinen Ausschnitt mit der Liebeserklärung, den es vorab zu hören gab, ist man erst mal gerührt.
Roche: Ich ja auch. Allein für den Moment hat es sich schon gelohnt. Wir können im Prinzip jetzt schon wieder aufhören. Aber das tun wir natürlich nicht.
prisma: Was versprechen Sie sich von dem Podcast für Ihre Beziehung?
Roche: Ich weiß, welche Erwartungen mein Mann an den Podcast hat – ich habe andere. Diese Haltungen werden gegeneinander knallen, aber ich glaube, die Gespräche holen auch noch mal ganz viel raus für uns als Paar. Aber ich habe schon auch Ziele, die ich verfolge: Ich würde gerne eruieren, und das ist nicht als Witz gemeint, ob es nach 15 Jahren möglich wäre, aus der Beziehung eine offene zu machen. Wenn er weiß, dass Leute zuhören, ist er diesbezüglich vielleicht großzügiger.
prisma: Da gab es offensichtlich schon einen Vorstoß Ihrerseits, wie man dem Trailer entnehmen konnte. Sie hatten bloß vergessen, ihn davon zu informieren.
Roche: Es sind in diese Richtung schon Sachen passiert, ja. Ich wusste nicht genau, wie man die offene Beziehung angeht. Ich kannte die Regeln nicht und kein Format. Ich habe einfach angefangen, und erst danach den Vertrag ausgehandelt.
prisma: Kann ja mal passieren. Aber es kam bei Martin offensichtlich nicht gut an.
Roche: Wie mein Mann das im Detail aufgenommen hat, werden wir im Podcast klären. Ich stelle aber fest, dass Sachen, die früher schlimm waren, mit der Zeit lustig geworden sind. Martin ist so cool, dass er darüber heute auch lachen kann. Aus Tragödie plus Zeit wird Komödie – so ist das bei uns ganz oft.
prisma: Aber was sind denn seine Erwartungen?
Roche: Ich glaube, er erhofft sich, dass uns die Gespräche enger zusammenschweißen. Es ist ja wirklich so, dass nicht mehr viel geredet wird, wenn man lange zusammen ist. Ich habe letztens von sieben Minuten die Woche in einer längeren Ehe gelesen.
prisma: Wie ist das bei Ihnen?
Roche: Mehr. Aber es geht ja auch darum, über was man redet. "Die Spülmaschine ist kaputt" ist nicht wirklich reden. Mein Mann war früher Fernsehproduzent, vorwiegend im Comedy-Bereich. Seine Erwartung an den Podcast ist sicher auch, dass es zwar ehrlich und rührend sein soll, aber auch sehr unterhaltsam. Ihm würde man vermutlich das größte Kompliment machen, wenn man sagt: "Ich habe mich kaputt gelacht."
prisma: Sie sind offensichtlich derzeit in der besseren Position – Martin ist ein bisschen anhänglicher, oder?
Roche: Bei uns wechselt sich das immer ab; mal ist der eine, mal der andere anhänglicher. Nie sind beide gleich. Wir haben uns bei der Arbeit zur ProSieben-Sendung "Charlotte Roche trifft..." kennengelernt. Wir verliebten uns, haben aber auch schnell gemerkt, dass zusammenarbeiten scheiße ist für die Liebe. Wir haben lange nicht zusammengearbeitet, und jetzt machen wir das hier, stehen gleichberechtigt auf einer Stufe – auch wenn ich mehr Erfahrung mit dem Labern vorm Mikrofon habe als er.
prisma: Wie ist diesbezüglich die Stimmung?
Roche: Im Prinzip haben wir gerade kein anderes Thema als den Podcast, sind hochnotaufgeregt, wie so kopflose Hühner. Wenn schon kein Kind kommt, dann halt ein Podcast!
prisma: Bei Ihrem Gatten scheint es dennoch ein bisschen existentieller zu sein: Er äußerte Angst, dass es mit der Beziehung auch vorbei sein könnte.
Roche: Ich habe jetzt schon von mehreren Männern gehört, die den Trailer hörten, dass das eine typische Frauenattitüde ist. Der Mann muss die Sicherheit geben, und die Frau sagt immer: "Ja, gucken wir mal", und lässt sich so jeden Tag bitten. Aber es ist von meiner Seite gar nicht so kühl oder arrogant gemeint, so nach dem Motto: "Ich stelle mich über dich, sei froh, dass du mich hast." Es ist nur so, dass wir früher so symbiotisch ekelig waren, so unglaublich verliebt, dass wir eine Person sein wollten und alle ausgeschlossen haben – das ganze Zeug, was viele Frischverliebte machen.
prisma: Also ein bisschen Zweifel tut gut?
Roche: Ich lernte in einer Paartherapie, dass man Liebe erstickt, wenn man immer sagt, ich garantiere dir, dass wir für immer zusammenbleiben. Denn andere Leute angucken, andere Fantasien haben, anderen Aktivitäten verfolgen wird dann zum Tabu. Das, was Paar-Therapeuten sagen, stimmt wirklich: Man muss sich jeden Tag neu entscheiden! Ich finde das neuerdings richtig romantisch zu sagen: "Jeden Tag entscheide ich neu, bei dir zu bleiben." Und das ist ja eigentlich viel größer, als wenn es Zwang ist.
prisma: Die Popsängerin P!nk hat vor Kurzem in einer Talkshow gesagt, dass sie und ihr Mann von Beginn an in Paartherapie seien, weil sie nicht dieselbe Sprache sprechen. Können Sie das nachvollziehen?
Roche: Absolut! Wie oft saßen wir in der Paartherapie und haben dann festgestellt, dass Männer und Frauen gar nicht zusammenpassen? Was soll das also alles? Ich finde sogar, dass nur Frauen mit Frauen zusammen sein sollten und Männer mit Männern, weil es vermutlich viel besser klappen würde. Typisch für die Kommunikation ist doch, dass eine Frau findet, mit einem Blick und einer Geste sei alles gesagt und sie ihm dann abends einen riesigen Einlauf gibt, und der Mann dann meint: "Hä? Deswegen hast du mich immer so böse angeguckt?" – Man muss 99,9 Prozent der Männer schon ganz direkt auf den Kopf zusagen: "Hör jetzt auf damit, sonst töte ich dich." Dann antwortet er: "Verstanden, ich höre auf."
prisma: Praktizieren Sie das mittlerweile so?
Roche: Ja, weil ich es jahrelang so oft mit kleinen Gesten, Augenverdrehen oder unterm Tisch treten probiert habe. Aber das wird so gedeutet, als wenn man dort Mücken verjagen wollte. Daher mein Rezept: Richtig dolle mit einem Megafon in die Fresse schreien, was man meint, weil sonst sagt der Mann immer: "Hat mir keiner gesagt, konnte ich nicht wissen."
prisma: Das ist doch schon mal ein guter Ansatz.
Roche: Total, und deswegen gebe ich P!nk vollkommen Recht. Paartherapeuten sagen übrigens, die meisten Paare kommen sechs Jahre zu spät, sodass es dann doch zu einer Trennung führt. Am Anfang wird ja immer gefragt: "Lieben Sie Ihren Partner noch? Haben Sie Hoffnung, dass Sie zusammenbleiben können?" Wenn man das verneint, dann leiten die die Trennung ein. Und wenn man sechs Jahre lang alleine rumgemurkst hat und völlig verzweifelt war, weil man zum Beispiel die Sprache des anderen nicht versteht, nicht streiten kann, man immer wieder die gleichen Muster sieht, ist das nicht gerade förderlich.
prisma: Sie haben Ihren Mann kennengelernt, nachdem drei Ihrer Brüder bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit ums Leben gekommen sind. Wie hat sich das auf Ihre Beziehung ausgewirkt?
Roche: Es war ein sehr schwerer Anfang. Wir sind zusammengekommen, als ich mein schlimmstes Trauma hatte. Er hat die ganzen Jahre über die Nachwehen mitbekommen, denn so ein Trauma sucht sich Ventile in Panikattacken, Ängsten, Süchten. Martin hat es ausgehalten, mir geholfen und sozusagen daran geglaubt, dass es irgendwann besser wird. Das wurde es ja dann; auch, weil er das Gute gesehen hat und das nicht mit den vielen anstrengenden, schlimmen und belastenden Sachen verrechnet hat.
prisma: Ihren Mann ist bisher öffentlich nicht in Erscheinung getreten.
Roche: Aber bald! Wir bringen ihn ganz groß raus. (lacht)
prisma: Wie haben Sie Ihn dazu bekommen, sich auf die Sache einzulassen?
Roche: Ich war am Telefon mit einem Kumpel, der mit mir überlegte, mit wem ich einen Podcast machen könnte. Ich hatte Lust, das Medium mal auszuprobieren und mir ein paar Podcasts der Kollegen angehört.
prisma: Auch den "Fest & Flauschig"-Podcast von Ihrem Ex-Moderations-Kollegen Jan Böhmermann, mit dem Sie im Streit auseinandergingen?
Roche: Nein. Denn unsere Vergangenheit tut mir so am Herzen weh, dass ich das nicht kann. Und dann mache ich das auch nicht. Aber ich sagte zu meinem Kumpel, dass der einzige Mensch, mit dem ich mir vorstellen könnte, jede Woche eine Stunde einen Podcast zu machen, Martin sei. Und alle haben mich ausgelacht, weil sie nicht daran geglaubt haben.
prisma: Hat das Ihren Ehrgeiz geweckt?
Roche: Ja, obwohl das eigentlich anfangs ein Witz war, weil es das Krasseste überhaupt ist, diese heimliche Person im Hintergrund so in die Öffentlichkeit zu zerren. Aber gleichzeitig dachte ich: Moment, das ist doch genial! Wir reden über unsere Beziehung im Podcast, so richtig Hardcore über alles: Sexualität, Geld, Patchwork-Familie ... – Und dann schlug ich es meinem Mann vor und seine Reaktion war: "Charlotte, es könnte sein, dass das die beste Idee deines Lebens ist, aber leider bin ich ja nun mal dein Mann." Später knickte er ein, weil er wusste, dass es viele Gründe für ihn gäbe, es nicht zu machen, aber Angst nicht sein Berater sein darf – und dann hat er ja gesagt.
prisma: Wie werden Sie das umsetzen?
Roche: Wir haben bei uns zu Hause im Gästezimmer ein Soundkabuff aufgebaut. Da werden wir einmal die Woche reingehen und das aufnehmen. Wir legen das jeweilige Thema fest wie Finanzen, Eifersucht oder Fremdgehen, damit wir eine sinnvolle Reihenfolge in den Podcasts haben. Aber ich werde nur vier Wörter auf einem Zettel ins Gespräch mitnehmen und das komplett Freestyle machen. Ich freue mich schon so, wenn ich dann merke, dass er ausweicht und ich ihm auf den Zahn fühlen kann.
prisma: Gibt es etwas, worüber Sie im Podcast nicht sprechen werden?
Roche: Ja, ein Tabu gibt es: detaillierte Sachen über die Kinder zu erzählen. Ich will nicht meine Kinder verraten, die sind Teenager, die müssen geschützt werden. Meine Tochter und sein Sohn sind beide 16, wir haben sie gefragt, und sie haben zugestimmt. Und wenn sie bei einem Thema wie Taschengeld vorkommen, sollen wir fragen, was wir erzählen dürfen und was nicht. Und daran halten wir uns.
prisma: Ist Ihren Kindern das nicht peinlich?
Roche: Ja, natürlich, die werden es sich auch nicht anhören. Die finden ja so schon vieles peinlich, was wir machen. Mega-peinlich sogar! (lacht)
prisma: Zum Abschluss noch die Frage: Wann gehen Sie in die Politik?
Roche: Das ist tatsächlich gar nicht so abwegig für mich. Ich will es nicht ausschließen. Ich hätte Bock, mich bei den Grünen zu engagieren. Die sind auch am besten mit Frauen. Politik reizt mich, weil ich immer noch teilweise wie ein Jugendlicher extrem wütend über Sachen bin. Zum Beispiel, warum es immer noch Kohlekraft gibt, obwohl das sozusagen der Haupt-CO2-Ausstoß-Verursacher in Deutschland ist. Und trotzdem schaffen es die Lobbyisten, den Ausstieg weiter nach hinten zu schieben. Das weckt dann schon den Kampfgeist in mir.
Quelle: teleschau – der Mediendienst