"Wir können nicht anders": Weihnachten in der Provinz – mit Sophia Thomalla
Der schwarzhumorige Anti-Weihnachtskracher "Wir können nicht anders" läuft ein Jahr nach seiner Premiere bei Netflix nun im ZDF. Sophia Thomalla gibt in dem Streifen eine Provinzchefin mit Stil.
Ein Mangel an Weihnachtsformaten herrscht in TV, Kino und Streamingwelt nicht. Was also tun, um sich aus der Masse abzuheben? 2020 wusste Detlev Buck, wie es geht: Mit seinem Film "Wir können nicht anders" wagte sich der Regisseur von "Herr Lehmann" und "Asphaltgorillas" an eine Kombination, die zuvor wohl als mutig gegolten hätte: eine schwarzhumorige deutsche Actionkomödie, die bei einem Streamingdienst ausgestrahlt wird. Dass die Anti-Weihnachtscomedy, deren Titel auf Bucks Ost-West-Wendesatire "Wir können auch anders" von 1993 anspielt, nun – ein Jahr später – im ZDF als Free-TV-Premiere läuft, zeigt auch, wie sich die Kräfteverhältnisse gewandelt haben.
Mit dabei ist Buck auch als Darsteller, ins Boot geholt hat er zudem Stars wie Kostja Ullmann – und Sophia Thomalla in einer Paraderolle als Provinzbossin mit jeder Menge Stil. Thomallas Figur Katja Völkl, ihres Zeichens Freundin des örtlichen Dorfgangsterchefs und von allen mehr oder minder begehrt, hat die Möchtegern-Mafia-Männerriege fest im Griff und sagt Sätze wie: "Wenn wir mal ehrlich sind, hat doch jeder im Raum hier schon mal mit mir gevögelt ... im Kopf!" – Fans dürften begeistert sein.
Auch abseits der rabenschwarzen und fast immer unterhaltsamen Dialoge überzeugt das Drehbuch, das Buck gemeinsam mit Martin Behnke verfasst hat. Im Mittelpunkt stehen Sam (Kostja Ullmann) und Edda (Alli Neumann), die nach einer leidenschaftlichen Nacht an Nikolaus einen Ausflug in Eddas Heimat unternehmen – und damit in die tiefste deutsche Provinz, wo kaum mehr etwas existiert als die Zurückgebliebenen und Gescheiterten. Und das sind vor allem Männer, überfordert von Veränderung und tief gefangen in ihrer beschädigten Vorstellung von Männlichkeit.
Es ist eine tragikomische Geschichte, in der sich letztlich alles um Eifersucht, Rache, Liebe und die verletzte Ehre verunsicherter Typen dreht: Wannabe-Mafioso Hermann (Sascha Alexander Gersak), der eine ziemlich dämliche Truppe Untergebener um sich schart, hält es nicht aus, dass sein Angestellter Rudi (Merlin Rose) eine Affäre mit Katja hat. Als er ihn daher hinrichten lassen will, kommen ihm jedoch Sam und Edda in die Quere – schon sind die beiden Großstädter mittendrin in der actionreichen, bisweilen grotesken und überaus blutigen Provinzposse. Es beginnt eine skurrile Jagd, die in deutsche Wälder und dörfliche Kneipen führt, in verlassene Fabrikhallen und in festlich geschmückte Kleinbürgerhäuser.
Anhand seiner Charaktere porträtiert Buck verschiedene männliche Archetypen – zumeist desillusioniert und von einer Überdosis Testosteron getrieben. Kein Wunder: "Auf vier Männer kommt hier eine Frau. Findest du das fair oder was?", stichelt der trottelige und notgeile Dorfpolizist in Richtung Edda. Neben den offensichtlichen Versagern sind da auch jene, die aus ihrem antiquierten Gesellschaftsbild so etwas wie wackliges Selbstbewusstsein schöpfen: "Wer liebt, der kann nicht verlieren", sagt der geflohene Rudi an einer Stelle. Sam, als Uni-Juniorprofessor stellvertretend für den privilegierteren und angeblich reflektierteren neuen Typus Mann, entgegnet: "Gott ihr seid so gefangen in eurer Männlichkeit", woraufhin Rudi ihn anbrüllt: "Mit meiner Männlichkeit ist alles in Ordnung!"
Detlev Buck spielt selbst mit
Neben den Jüngeren bekommen auch die Männer alter Schule ihr Fett weg: Der bemantelte Hermann etwa, der einem 80er-Jahre-Actionkrimi entsprungen scheint, aber auch dessen nostalgisch-brutaler Vater, dargestellt von einem fantastisch-lapidaren Peter Kurth, der seine Kalaschnikow wie ein Haustier spazieren führt und so manche Weisheit kredenzt: "Ihr jungen Leute habt's ja nicht mehr so mit gesellig. Jetzt ist jeder nur noch für sich allein". Auch Buck selbst gibt – samt weiß-weihnachtlichem Vollbart und im Rollstuhl – einen Provinz-Typus, der allerdings weitaus weniger gewalttätig daherkommt: In norddeutscher Manier spielt er Eddas kleinbürgerlichen Vater Sigi, der gerade Geburtstag feiert und sich große Sorgen um seine Tochter macht, die er seit fünf Jahren nicht gesehen hat. Und doch: Als Dorfoberer mauschelt auch er mit Boss Hermann um Bauland.
Von dysfunktionalen Familien über befindlichkeitsfixierte Schlägertypen und korrupte Polizisten bis zum strukturellen Rassismus gegenüber den ansässigen Geflüchteten: Vieles läuft schief "in diesem gottverdammten Dorf", wo "man nicht tot überm Gartenzaun hängen möchte", wie es an einer Stelle heißt. "Könnt ihr nicht normal miteinander reden? Müsst ihr euch gleich totschlagen?", fragt Sam verzweifelt angesichts der Zustände, die man filmisch nicht schöner hätte zuspitzen können. Das Selbstmitleid der verlassenen, gewalttätigen Provinz-Herren in eine weihnachtliche Actionkomödie zu verpacken – das kann wohl nur ein Detlev Buck.
Wir können nicht anders – Mo. 06.12. – ZDF: 22.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH