"Tatort: Made in China": Wunder der Weihnacht
Tatort: Made in China entführt das Publikum in ein Krimimärchen zwischen Dortmund und China, in dem Kommissar Faber (Jörg Hartmann) wieder als zynischer Sprücheklopfer glänzt. Der Film verspricht Spannung und Wendungen, während alte Familienthemen zur Weihnachtszeit aufgegriffen werden.
Unter dem Begriff "Weihnachtswunder" versteht man einen höchst unwahrscheinlichen Glücksfall, der Menschen (oder Filmfiguren) genau dann widerfährt, wenn sie ihn am meisten brauchen. Wie das geschehen kann? Einfach durch die Magie der Weihnacht. Auch wenn die Dortmunder Ermittler Faber (Jörg Hartmann) und Herzog (Stefanie Reinsperger) im "Tatort: Made in China" kein Wunder benötigen, um ihren Fall aufzuklären, bietet der vielleicht wendungsreichste Krimi des späten Jahres doch einiges an Wunder-Potenzial. Er beginnt mit einer Mörderin ohne Leiche. Eine junge Frau (Klara Lange), geistig stark verwirrt, irrt blutverschmiert mit einem Messer durch einen Dortmunder Asia-Shop. Nachdem sie von der Polizei gestellt wurde, versuchen Faber und Herzog herauszufinden, wer die Frau ist, die behauptet, einen Mann getötet zu haben.
Spuren führen zur Industriellen-Familie Haiden, einer alten Dortmunder Stahldynastie. Hier könnte es den meist abwesenden Hallodri-Ehemann der Patriarchin Sophia Haiden (Marie-Lou Sellem) erwischt haben. Jo Haiden verbringt viel Zeit in China, taucht ab und zu auf – und dann wieder ab. Offenbar ein wundersamer Typ. Trotzdem einer, der auf seine Familienmitglieder eine gewisse Faszination ausübt – mit Ausnahme des Firmenchefs Stephan Haiden (Francis Fultion-Smith), der Jo offenbar hasst.
Die Dortmunder Kripo findet in der Villa der Haidens einen möglichen Tatort. Dort gibt es Blut und Spuren, aber keine Leiche. Weil es auf die detaillierte Analyse der möglichen Mordstelle ankommt, erhält der von Faber gehasste KTU-Leiter Sebastian Haller (Tillmann Strauß) relativ viel Screen-Time. Dortmund-Kenner wissen: Haller war wie Faber mit dessen im Dienst tragisch verstorbenen großen Liebe und Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) zusammen – was einem epischen Hass der beiden Männer aufeinander auslöste. Okay, ein alter Hut, aber einer, der die Dortmunder "Tatort"-Macher offenbar immer noch nicht nervt.
Schwierige Familienmitglieder und wie man ihnen verzeiht
Im ersten Dortmunder Fall seit der Folge "Cash" vom Februar 2024 müssen Thomas Stauch (Drehbuch) und Jobst Christian Oetzmann (Regie) erst mal viel Erinnerungsarbeit leisten. Die letzte Folge mit dem Ausstieg von Kommissar Pawlak (Rick Okon) ist schon mehr als zehn Monate her. Im letzten Dortmund-Krimi hatte nicht nur der verzweifelte Vater Pawlak seine Tochter entführt, auch Kommissarin Herzogs Mutter aus dem Umfeld der RAF wurde gefasst (und spielt in diesem neuen Fall eine Rolle). Schließlich wäre da ja noch die Story um Fabers lange entfremdeten Vater, der an Demenz leidet. All diese losen Familienfäden greift "Made in China" auf, da der Fall passend zu Weihnachten im Subtext von Familien und Wahlverwandtschaften unterschiedlichster Ausprägung erzählt.
Wer sich hier liebt – und wer sich hasst -, all das ist über 90 Minuten in ziemlicher Bewegung. Die Gefühle der Filmfiguren sind auf geradezu fluide Art "unterwegs" und schwer greifbar. Passend dazu bedient sich der "Tatort" eines Tricks, den man gerade erst im offiziellen Weihnachts-"Tatort: Stille Nacht" aus Bremen gesehen hat. Wie beim Bremer Mord an einem Kapitän in dessen romantischen Weihnachtshaus stehen auch in Dortmund die Ermittler mitten in verschiedenen Tat-Variationen herum, die von der Regie als echte Szenen gedreht werden. Nach dem Motto: Suchen Sie sich als Zuschauer ein der angebotenen Lösungen aus.
Die Ermittlungen führen bald zu wundersamen Theorien, die mit China zu tun haben und in denen sich verschiedene Genres treffen: Familien-Dramedy, Agenten-Farce, Paranoia-Thriller und ein wenig Agatha Christie-Murder-Mystery. Welche Lesart der Handlung über 90 Weihnachtsminuten die Oberhand gewinnt, lässt sich schwer vorhersagen.
Faber, der Sprücheklopfer, ist zurück
Als Krimi weist der "Tatort: Made in China" durchaus Schwächen auf, unter anderem jene, dass er mitunter eine ziemliche Räuberpistole und amtlich unglaubwürdig ist. Dennoch ist der Fall unterhaltsam, was an den Plot- und Genre-Wendungen liegt sowie der Tatsache, dass Faber seit langer Zeit mal wieder jener zynisch verrückte Sprücheklopfer sein darf, als der er mal eingeführt wurde.
Eine kleine Faber-Auswahl gefällig? Über seinen berühmten Parka sagt er zur besorgten Kollegin Herzog, die das Kleidungsstück eigentlich für den Tag zu warm findet: "Der ist wie Hundefell, schützt bei Hitze und bei Kälte." Und als jemand Faber die Floskel an den Kopf wirft: "Das müssen Sie jetzt aushalten", giftet Faber diesen an: "Im Aushalten bin ich Meister aller Klassen." So viel Fan-Service des alten Psycho-Kommissars Faber hat man im Dortmunder "Tatort" lange nicht mehr gehabt. Aber wann soll man alte Traditionen wiederaufleben lassen, wenn nicht an Weihnachten.
Tatort: Made in China – Do. 26.12. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH