"Lagos – Tanger: Reise ohne Rückfahrschein"

"Generation Africa – Migration neu erzählen": ARTE-Reihe liefert anderen Blickwinkel

14.06.2022, 08.21 Uhr
von Wilfried Geldner

Der nigerianische Regisseur Ike Nnaebue reist für die Dokumentation "Lagos – Tanger: Reise ohne Rückfahrschein" nach Tanger. Dort begegnet er Emigranten aus vielen westafrikanischen Ländern – und ihren Träumen, die nie Wirklichkeit werden. Es ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe.

ARTE
Lagos – Tanger: Reise ohne Rückfahrschein
Dokumentation • 14.06.2022 • 20:15 Uhr

Mit der 90-Minuten-Dokumentation "Lagos – Tanger: Reise ohne Rückfahrschein" startet ARTE eine Afrika-Reihe unter dem Titel "Generation Africa – Migration neu erzählen", die nicht weniger als 25 Filme umfasst und seit 10. Juni auch in der ARTE-Mediathek zu sehen ist. Bereits sieben Filme gibt es am Dienstag, 14., und Mittwoch, 15. Juni. Auf "Lagos – Tanger" (14.06., 20.15 Uhr) folgen Dokumentationen über Goa ("Die letzte Zuflucht – Das Haus am Tor zur Sahara", 21.50 Uhr) und über die bedrohten "Fischer von Sierra Leone" (22.45 Uhr). Den Abend beschließt um 0.30 Uhr eine Busfahrt mit dem "Bus der Illegalen" namens "Clando". Es ist der erste Schritt einer langen Reise ins Exil.

Was motiviert junge Menschen zum Gehen? – Migration wird in "Lagos – Tanger" aus afrikanischer Sicht erzählt. So wie bei Ike Nnaebue, der auf seiner beschwerlichen Reise in Richtung Europa noch in Afrika zum Filmemacher wurde und nun nach 21 Jahren noch einmal diese Reise in langen Busfahrten und Aufenthalten auf unwirtlichen Busbahnhöfen und Raststätten unternimmt. Kein Roadmovie im üblichen Sinne, sondern eine Momentaufnahme, die Gestrandete auf ihrem Weg ins Hoffnungsland Europa zeigt – in Begegnungen und Gesprächen, die sehr ehrlich und natürlich wirken, die aber auch Streitereien und Auseinandersetzungen zeigen, wenn es – immer nur angedeutet – um Menschenhandel, Betrug oder Vergewaltigung geht.

"Wenn du unterwegs bist, siehst und hörst du alles", sagt eine der Frauen, denen der 1975 geborene Nnaebue begegnet. Wegsehen geht nicht, das muss (und darf) auch der Filmautor erfahren. Einzelschicksale werden aufgeblendet und mit den Erfahrungen des Regisseurs in Einklang gebracht: der erzwungene Aufbruch aus der familiären Not in jungen Jahren, der Versuch, in einem anderen Land Arbeit zu finden – immer mit dem Kompass, der auf Europa ausgerichtet ist. Die meisten landen irgendwo als Kellnerin. Wer Rastafrisuren anlegen kann oder gar Make-up, hat schon das große Los gezogen. Oder bastelt Luftspender und verkauft sie selbst. Am Ende der Reise, meist in Tanger gleich bei Gibraltar und nur wenige Kilometer vom europäischen Kontinent entfernt, wartet für viele das Betteln. Doch eine Rückkehr kommt nicht infrage, die Enttäuschung der Familie daheim wäre zu groß. "No U-Turn" ist der englische Titel des menschennahen Films.

"Immer noch besser als Prostitution", sagt eine der Frauen im Film – und träumt weiter von der Überfahrt. Wie Laura und Sandra, die sich ein Boot kaufen wollen, um es mit dem Handy zu navigieren. Über Ebbe und Flut sind sie schon informiert und wo sie ablegen wollen, lassen sie sich von einem Schlepper zeigen. Nnaebue, der Filmer, ist voller Bewunderung für sie. So viel "eisernen Willen" habe er vor 20 Jahren nicht gehabt. Es habe sich, so resümiert er fast nebenbei, in den letzten Jahrzehnten in Nigeria nichts verändert, obwohl Afrika doch mit reichen Ressourcen gesegnet sei. Seine Wut kleidet er in behutsam eingestreute poetische Texte – wie über den Mond, mit dem es wie mit der Hoffnung sei: Mal geht er auf und wird voller, dann wieder sehr dünn. "Dann sind wir frei!" So träumen Laura und Sandra von ihrer Reise vorerst im Konjunktiv. Der Schrecken über dieses in poetischen Bildern gefilmte Afrika sitzt aber erst einmal ziemlich tief.

Lagos – Tanger: Reise ohne Rückfahrschein – Di. 14.06. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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