Doku bei Netflix

"Eldorado – Alles, was die Nazis hassen": Die faszinierende Geschichte des besonderen Nachtclubs

27.06.2023, 10.43 Uhr
von Elisa Eberle

Das Eldorado war eine wichtige Anlaufstelle für die queere Gemeinschaft im Berlin der 1920er-Jahre. Unter dem Motto "Hier ist's richtig!" gab es wohl "alles, was die Nazis hassen". Ein sehenswerter Dokumentarfilm bei Netflix erzählt nun die faszinierende Geschichte des Nachtclubs.

Die Grausamkeit der Nazis, der Holocaust und die Euthanasie waren schon oft Thema erschütternder Dokumentationen. Das Schicksal queerer Menschen im Umbruch zwischen Weimarer Republik und Nazideutschland allerdings befand sich bislang außerhalb des Radars der Filmemacher. "Eldorado – Alles, was die Nazis hassen" unter Regie von Benjamin Cantu füllt diese Leerstelle. Netflix veröffentlicht den Dokumentarfilm gegen Ende des Pride Month am 28. Juni. Die Zusammenarbeit mit einem "so großen Partner" sei "ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der die Rechte von LGBTIQ*-Menschen an vielen Orten der Welt wieder unter Druck stehen", freut sich Cantu, der gemeinsam mit Felix Kriegsheim auch das Drehbuch zum Film schrieb. An den Dreharbeiten war ein überwiegend queeres Team vor und hinter der Kamera beteiligt.

Im Zentrum des Films steht das titelgebende Eldorado, ein bekanntes Transvestitenlokal im Berlin der 1920er-Jahre. In den Goldenen Zwanzigern kündigt sich hier "eine neue Freiheit an, wo schwule Männer, lesbische Frauen, Trans-Männer und Trans-Frauen zum ersten Mal frei sein können, selbstbestimmt", wie der Historiker und Kurator Klaus Müller gleich zu Beginn des rund anderthalbstündigen Films sagt. Er ist einer von vielen internationalen Experten und Aktivistinnen, die in dem Film zu Wort kommen.

Nazis im Eldorado

Die eigentliche Geschichte des Eldorados sowie das Schicksal seiner schillernden Besucherinnen und Angestellten aber erzählt die Doku anhand sehr berührender Biografien: Da ist die transsexuelle Toni Ebel, die im Club auf Charlotte Charlaque, eine amerikanisch-deutsche jüdische Intellektuelle, trifft. Zusammen mit Dorchen Richter sind sie drei der ersten Menschen weltweit, die sich in der Praxis des Sexologen Magnus Hirschfeld einer Geschlechtsangleichung unterziehen und überleben.

Auch der bisexuelle Profi-Tennisspieler Gottfried von Cramm besucht das Eldorado: Gemeinsam mit seiner Frau Lisa von Dobeneck neue Abenteuer für ihre noch junge Ehe suchte. Da ist aber auch Ernst Röhm, ein Duzfreund Adolf Hitlers, dessen Homosexualität ein offenes Geheimnis war. Zunächst lässt Hitler ihn gewähren: "Sein Privatleben interessiert mich nicht, wenn die nötige Diskretion gewahrt bleibt". Als Röhm als Führer der SA eine ernstzunehmende Bedrohung für Heinrich Himmler und dessen SS darstellt, wird er 1934 von den Nazis erschossen.

Was wurde aus dem Nachtclub?

Aus heutiger Sicht klingt es befremdlich, wenn der Film in einer Mischung aus Archivaufnahmen und Spielszenen erzählt, dass das öffentliche Tragen von Kleidern des anderen Geschlechts nur mit einer ärztlichen Genehmigung erlaubt war. Andererseits werden queere und transsexuelle Menschen durch den "Transpass" erstmals rechtlich anerkannt, wie die Aktivistin Morgan M. Page betont. Kurz vor der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 wird das Eldorado geschlossen. Es dient fortan als Werbefläche der Nazis.

Heute ist es "ein schicker Bio-Supermarkt", wie der Historiker Ben Miller weiß. Die Doku aber hört mit der Schließung des Eldorados nicht auf: Der Film erzählt vom Angriff auf Hirschfelds Institut im Mai 1933 und vom Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches: er illegalisiert sexuelle Beziehungen zwischen zwei Männern. Unter dem Nazi-Regime kommt es zudem zu Massenverdächtigungen, weil Frauen Hosen tragen oder "lesbisch aussehen".

Ein erschreckend wichtiger Film

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hört die Verfolgung homosexueller Menschen nicht auf: "1945 wird die staatliche Homosexuellenverfolgung nicht als Unrecht anerkannt", weiß der Historiker Klaus Müller: "Westdeutschland übernimmt den Nazi-Paragrafen 175. Die Gesellschaft sieht sie als Kriminelle, als Perverse. Familien schweigen, Historiker fragen nicht nach, die Verfolgung geht weiter."

Erst 1994 wird der umstrittene Paragraf abgeschafft. Dennoch fürchten sich Menschen wie Zavier Nunn heute davor, dass ihnen die Rechte und Freiheiten der LGBTIQ*-Community wieder genommen werden könnten. Es reicht ein Blick nach Ungarn, um diese Angst zu verstehen. Umso wichtiger erscheint dieser Film, der die Geschichten der Betroffenen erzählt, von denen manche doch noch in ein bitter-süßes Happy End münden.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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