Horst Lichter übers Internet: "es kann lügen und ist gefährlich"
Horst Lichters neues Buch 'Zeit für Freundschaft?!' gewährt tiefe Einblicke in sein Privatleben. Der 'Bares für Rares'-Moderator reflektiert über die Bedeutung von Freundschaft, teilt bewegende Erinnerungen und zeigt sich von einer sehr persönlichen Seite. Ein berührendes Werk, das die Facetten zwischenmenschlicher Beziehungen beleuchtet.
Horst Lichter hält Rares parat, diesmal allerdings nicht in seinem TV-Format, sondern in seinem neuen Buch "Zeit für Freundschaft?!", das zum 1. Oktober im Knaur-Verlag erschienen ist. Im Nachfolger des Bestsellers "Keine Zeit für Arschlöcher" (2022) überrascht der Moderator mit Geschichten aus seiner Kindheit im Braunkohlerevier, blickt auf die Erlebnisse mit seiner ersten Freundin zurück und zeigt sich über 208 Seiten von einer liebevoll emotionalen Seite. Über ein Jahr hat der Mann mit dem charakteristischen Schnurrbart an dem Werk gearbeitet und dabei immer neue Facetten zwischenmenschlicher Beziehungen entdeckt. "Anfangs habe ich mich gefreut und gedacht, das wird ein Buch mit tollen Anekdoten, bei dem man Tränen lacht", verrät er im Interview. Doch die Wahrheit geht viel tiefer und kann auch manchmal traurig sein. So ist ein Buch entstanden, das voller Gefühle und Erinnerungen steckt, die den Privatmann Horst Lichter (62) noch sympathischer machen als er eh schon wirkt, wenn er seine Gäste mit den Worten "Hallo, ich bin der Horst" begrüßt und die persönliche Anrede auch in diesem Gespräch beibehält.
prisma: Herr Lichter, Sie bieten Ihren Gästen gerne das Du an, obwohl Sie sie gar nicht kennen. Wieso machen Sie das?
Horst Lichter: Ich finde, es ist eine sehr schöne, gesunde Basis, wenn man den Menschen offen begegnet. In den meisten Sprachen der Welt gibt es gar kein Sie. Und ich kann ja später immer noch sagen: "Jetzt bin ich der Herr Lichter für Sie." Man soll einfach das geben, was man selbst gerne hätte – und das ist Höflichkeit, Freundlichkeit und Respekt. Wenn man das tut, ist auch die Grundlage für eine Freundschaft da.
prisma: Ab sofort also gerne das "Du": In Deinem Buch hast Du Dich aus einem sehr persönlichen Blickwinkel mit dem Thema Freundschaft befasst. Dabei bist Du, wie Du schreibst, durch 1.000 Gedanken gegangen. Welcher davon ist besonders präsent geblieben?
Lichter: Ich habe in Etappen geschrieben, so drei bis fünf Tage am Stück, dann wieder eine Zeit lang nicht, um den Kopf freizukriegen. Dabei habe ich immer neue Erkenntnisse gewonnen. Am einprägsamsten war die, dass ich meinen besten Freund nie kennenlernen möchte. Das habe ich meiner Frau erzählt, und sie fragte: "Warum das denn?" Ganz einfach, weil die Menschen glauben, dass sich der beste Freund erst in Notsituationen zeigt, also wenn sie schwer krank sind, einen Unfall haben oder finanziell desaströs daniederliegen. Wenn das die Voraussetzungen sind, um den besten Freund kennenzulernen, dann möchte ich das wirklich nicht.
"Körperliche Nähe gibt Trost, Vertrauen und Unterstützung"
prisma: Du hast das Buch zusammen mit Deinem Freund Till Hoheneder geschrieben. Wie kann man sich das vorstellen?
Lichter: Wir haben uns in einem kleinen Hotelgasthof ein Zimmer genommen. So hatten wir einen Raum, in dem wir uns treffen konnten, etwas zu essen und ein bisschen was zu trinken. Dann haben wir angefangen zu reden und haben die Gespräche aufgenommen. Manchmal haben wir zunächst über alles Mögliche geredet und sind dann erst ins Thema eingestiegen. Wenn es zu anstrengend geworden ist, wir zu weit abgeschweift sind oder einer auch mal weinen musste, haben wir das Band ausgemacht. Zum Schluss habe ich das Ganze in meinen Worten aufgeschrieben. Tills Hilfe war dabei unerlässlich. Wir kennen uns sehr gut und konnten so wirklich ans Eingemachte gehen, denn ich wollte der Wahrheit unbedingt nahe kommen.
prisma: Du erinnerst Dich in dem Buch sogar an die Freundschaft, die Dich als Dreijährigen mit deiner Cousine verbunden hat und schreibst: "Wir haben uns aufeinander gefreut. Wir haben gespielt und gelacht, und wir haben herrlichen Blödsinn miteinander verzapft." Ist das Dein Rezept für eine gute Freundschaft?
Lichter: Das macht für mich eine Freundschaft aus, doch ich habe gelernt, dass für jeden etwas anderes wichtig ist. Es gibt aber gewisse Parameter, die jeder gerne in der Freundschaft haben möchte. Zum Beispiel muss man einem Freund vertrauen können, und man muss ihn gern haben. Allerdings reicht das nicht, denn zu meiner Buchhalterin habe ich vollstes Vertrauen, und sie ist mir wahnsinnig sympathisch, aber sie ist keine Freundin von mir. Da gehört noch mehr dazu.
prisma: Was wäre das für Dich?
Lichter: Wenn ich jemanden sehe, den ich mag und den ich zu meinem Freundeskreis zähle, dann möchte ich ihn gerne umarmen. Diese körperliche Nähe gibt Trost, Vertrauen und Unterstützung. Ich merke es relativ schnell, wenn ich mich mit jemandem verstehe. Dann können wir einfach nur Blödsinn erzählen, ohne wirklichen sachlichen Inhalt und darüber Tränen lachen. Es kann auch sein, dass wir uns über Dinge austauschen, die sehr ernsthaft und sehr wichtig sind, ohne dass einer zumacht und ablehnend wird. Es sind also viele Punkte, die eine Freundschaft für mich ausmachen.
"Das ganze Leben dreht sich um den Tisch"
prisma: Welche Rolle spielt dabei das Essen für Dich?
Lichter: Ich hatte zwei Berufswünsche als Kind, der eine war Schreiner und der andere Koch. Beides hatte den gleichen Hintergedanken. Ich habe es schon als Kind geliebt, wenn alle an einem Tisch sitzen und essen. Das ganze Leben dreht sich um den Tisch. Bei der Taufe gibt es ein wunderbares Essen, auch bei der Kommunion, und beim ersten Date geht man mit dem Mädel essen, auch wenn man gar keinen Hunger hat. Bei einer Verlobung, Hochzeit und selbst an Beerdigungen sitzt man zusammen am Tisch. Ich liebe Menschen und wollte sie zusammenbringen. Entweder wollte ich den Tisch bauen, an dem sie sitzen, oder das Essen kochen, das sie an den Tisch bringt. Gemeinsam zu essen, festigt die Bindungen zwischen den Menschen.
prisma: Glaubst Du, dass ein Mann und eine Frau beste Freunde sein können?
Lichter: Nein. Das kann nur passieren, wenn sie mal ein Paar waren, jetzt keines mehr sind und jeder wieder in einer neuen, exzellenten Beziehung lebt. Nur dann können sie beste Freunde werden, weil sich beide richtig gut kennen und sich mal geliebt haben. Dann ist aber das Verlangen nach dem anderen nicht mehr da. Sonst ist immer einer heimlich in den anderen verliebt, würde es aber niemals zugeben, weil er damit die Freundschaft aufs Spiel setzt.
prisma: Du schreibst auch, dass Du Deine Frau nicht als Deinen besten Freund bezeichnen würdest ...
Lichter: Eine Ehe oder Partnerschaft ist etwas anderes als reine Freundschaft. Natürlich ist meine Frau auch mein Freund, aber nicht im Sinne des eigentlichen Freundschaftsbegriffes. Ich nenne ein Beispiel: Ich liebe Motorräder. Wenn ich jetzt meiner Frau sagen würde: "Schatz, ich hab da ein Motorrad gesehen, das möchte ich haben." Da würde sie sagen: "Du hast genug Motorräder, Du kannst eh nur mit einem fahren." Mein Kumpel würde dagegen sagen: "'Sensationell, ja, mach die Sammlung größer. Ich würde mir das auch kaufen." Dahinter stehen andere Beweggründe. Ich weiß, dass meine Frau mit Sicherheit wie ein Freund zu mir steht, weil sie mich liebt. Und natürlich fühle ich bei einem Freund mit, wenn er ein Problem hat, aber meine Partnerin ist ein Teil von mir.
prisma: Für Dein Buch hast Du Deinen Sohn interviewt, und ihr seid zu dem Schluss gekommen, dass ihr Freunde seid. Er ist auch ein Teil von Dir. Ist das dann möglich?
Lichter: Das ist bedingt möglich. Ich wünsche mir, dass alle meine Kinder meine Freunde sind. Das ist aber nicht machbar, weil man als Vater das Gefühl niemals los wird, sie beschützen und erziehen zu wollen. Mein Sohn wird das merken, wenn seine Kinder alt genug sind. Er kann mit ihnen befreundet sein, aber er ist und bleibt der Papa, und der muss auch verbieten, er muss den Weg zeigen, einen Ratschlag geben und auch mal "Nein" sagen können. Ein Freund darf das nicht, der kann, wenn überhaupt, nur Ratschläge geben.
prisma: Du erklärst in Deinem Buch, dass Freundschaft keine Pflanze ist, die dauernd gepflegt werden muss. Ist Distanz völlig egal, wenn man sich mag?
Lichter: Ja, für mich schon. Es gibt Menschen, die ihren Freund oder ihre Freundin regelmäßig hören, sich kümmern und füreinander da sein wollen. Und wenn sie denjenigen nicht täglich am Telefon haben, dann glauben sie, sie sind ihm egal, andere Dinge sind ihm wichtiger und machen ihm Vorwürfe. Für mich passt das nicht zusammen. Das Leben bietet so viele Dinge und so vieles verändert sich.
prisma: Zum Beispiel?
Lichter: Es kann sein, dass plötzlich eine Partnerschaft über der Freundschaft steht. Wenn ich eine Frau liebe und wir beginnen ein neues Leben, dann rutschen automatisch meine Freunde ein Stück weiter nach hinten. Meine Frau wird mir aber nie den Umgang mit ihnen verbieten. Außerdem kann es berufliche Gründe geben. Das Leben kann sich so ändern, dass ich weniger Zeit habe. Dafür sollte ein Freund Verständnis haben und sagen: "Wenn er sich nicht meldet, geht's ihm wohl gut." Wenn Du Deinen Freund hören möchtest, dann rufst Du ihn einfach an, finde ich.
"Das Buch hat viel verändert"
prisma: Meinst Du, das Internet macht es leichter, Freunde zu finden?
Lichter: Ich weiß nicht, ob meine persönliche Meinung so populär ist, aber ich würde mir ja so unglaublich gerne wünschen, dass das Ding mal sechs Monate lang komplett aus ist. Dann wäre vieles mal wieder anders, und man könnte die Welt um sich herum etwas besser sehen. Im zwischenmenschlichen Bereich macht das Internet alles schwieriger.
prisma: Wieso glaubst Du das?
Lichter: Ich finde, das Internet ist sehr unpersönlich, es kann lügen und ist deshalb gefährlich. Wenn mir jemand gegenüber sitzt, habe ich das Gefühl, dass ich ziemlich schnell merke, ob er mir Blödsinn erzählt. Er kann sich zwar schminken, aber er kann sein Gesicht und seinen Körper nicht mit einem Filter verändern. Im Internet kann ich auch überlegen, ob ich den einen Satz lösche, den ich gerade geschrieben habe. Ich kann sogar einer KI sagen, dass sie mir helfen soll, einen Liebesbrief zu schreiben, an wen auch immer auf dieser Welt. Zum Schluss kommt ein Ergebnis raus, über das ich denke: "Alter Schwede, das hätte ich nicht gekonnt." Das ist aber falsch.
prisma: Werden Freunde Deiner Meinung nach wichtiger, wenn man älter wird?
Lichter: Ja, und seltener. Ab einem gewissen Alter merkt man, dass langsam aber sicher in eine einsamere Zeit beginnt. Ich versuche das, an einem Beispiel zu erklären: Zwischen 25 und 55 Jahren ist man bei jungen und bei alten Menschen anerkannt. Aber wie denken wir in diesem Alter über Kinder: "Auf die musst Du aufpassen, die machen doch nur Blödsinn, die können noch nicht klar denken." Ebenso bei den Alten: "Gott im Himmel, wie unvernünftig, der läuft ohne Stock, der arbeitet noch in Garten und geht auf den Baum! Ja, ist der denn wahnsinnig, den müssen wir langsam mal ins Pflegeheim bringen." Das heißt, die Mitte hat das Bedürfnis, beide Seiten zu bevormunden und auf sie aufzupassen.
prisma: Und jenseits dieser Mitte?
Lichter: Wenn du älter wirst, merkst du irgendwann, dass aus deiner Schulklasse schon die Hälfte tot ist und in der Straße, in der du groß geworden bist, nur noch die Kinder der Nachbarn wohnen oder neue Leute. Die Alten sind weg, und es wird immer einsamer. Wenn du jüngeren Menschen Geschichten erzählst und genau hinschaust, merkst du, dass sie oft nur noch aus Sympathie zuhören. Sie sagen: "Ja komm, lass den Alten mal erzählen. Wenn ich da bin, freut er sich." Dann hast du immer weniger Menschen um dich herum, die dich wirklich verstehen, die dich wirklich lieb haben und dich auch ernst nehmen.
prisma: Ohne Freunde fühlen sich ältere Leute oft sehr einsam ...
Lichter: Deswegen kenne ich auch Menschen, die im hohen Alter sind und gerne gehen würden, weil keiner mehr da ist. Selbst wenn sie Ausflüge machen, fühlen sie sich oft nur mitgenommen. In dem Alter ist es ganz schwierig, noch wahre Freunde zu haben. Dann sehen manche ihren Hund, ihre Katze oder ihr Pferd als ihren besten Freund. Denn das Tier ist treu, es ist immer da, ehrlich, es betrügt nicht und freut sich.
prisma: Das ist eine traurige Facette der Freundschaft.
Lichter: Ja klar, aber es ist leider die Wahrheit. Wenn man sich mit Freundschaft auseinandersetzt, merkt man, dass es ein heftiges Thema ist. Was ist Freundschaft in der Kindheit, in der Jugend, im Erwachsenenalter und später? Das ist alles sehr schwierig, auch in Bezug auf Tiere. Wir haben einen Hund, ich liebe dieses Tier über alles und würde alles tun, damit es ihm gut geht. Aber es kann nie mein Freund werden.
prisma: Warum?
Lichter: Als Freund muss es meine Sprache sprechen. Natürlich gibt es Menschen, die sagen: "Mein Hund versteht mich, der weiß genau, wann es mir gut und wann nicht." Er kann aber nicht mit ihnen reden, und er wird auch nie sagen, dass etwas falsch ist oder mit ihnen diskutieren. Ein Freund sollte das aber tun und deswegen ist das eine Liebe zu dem Tier, aber keine Freundschaft mit ihm.
prisma: Nimmst Du, nachdem Du dieses Buch geschrieben hast, die Beziehungen zu den Menschen in deiner Umgebung anders wahr?
Lichter: Das Buch hat viel verändert. Während des Schreibens wollte ich natürlich andere Meinungen hören und habe immer wieder andere Menschen gefragt, was für sie ein Freund ist. So haben automatisch Diskussionen angefangen, und ich habe unter anderem festgestellt: "Mensch, Dich hätte ich auch gerne als Freund" oder "Gottseidank sind wir nicht befreundet", das gibt's auch. Das Buch hat mich bewusster gemacht.
prisma: Hat es Dir auch etwas überraschend Schönes gezeigt?
Lichter: Dass man Freundschaften wiederfinden kann, war eine sehr schöne Erkenntnis für mich. Es gibt verlorene Freundschaften, zum Beispiel unter Menschen, die sich auseinandergelebt haben oder durch Missverständnisse auseinandergegangen sind. Aber ich glaube, was man verliert, kann man auch wiederfinden. Dann fängt man gemeinsam wieder neu an und freut sich darüber, dass man sich gefunden hat.
prisma: Passiert das gerade bei Dir?
Lichter: Es ist schon passiert, bevor das Buch herausgekommen ist. Ich lebe jetzt wieder in der Region, in der ich früher gewohnt habe, und da macht sich der eine oder andere plötzlich auf den Weg, um die Menschen wiederzusehen, die er lange nicht gesehen hat. Wenn Leute urplötzlich nach vielen Jahrzehnten wieder auftauchen und fragen, wie es einem ergangen ist, dann ist das wunderschön. Das sind Momente, in denen sich Freundschaft mit dem Gefühl von Heimat mischt.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH