Schauspieler im Interview

Wotan Wilke Möhring: "Wir sind der Digitalisierung mehr ausgeliefert als je zuvor"

02.12.2024, 08.35 Uhr
von Martina Maier

In 'Blackout bei Wellmanns' nimmt Wotan Wilke Möhring die Abhängigkeit von Elektrizität und die Prepper-Szene humorvoll aufs Korn. Der Schauspieler, bekannt als Tatort-Kommissar Thorsten Falke, thematisiert die Fragilität unserer Gesellschaft und die Bedeutung von Solidarität.

Ein Mann der leisen Töne war Wotan Wilke Möhring eigentlich nie, auch nicht während der Pandemie. Im Rahmen der #allesdichtmachen-Aktion äußerte er damals seinen Unmut über einige Corona-Schutzmaßnahmen. Jetzt ist der authentische, viel gefragte Schauspieler in "Blackout bei Wellmanns" (Montag, 2. Dezember, 20.15 Uhr, ZDF) zu sehen, einer Komödie, die die "Prepper"-Szene aufs Korn nimmt. Möhring spielt einen Ingenieur, der sich aus Panik vor Stromausfällen sein Paralleluniversum im Wald errichtet. Sein Ding sei das Hamstern nicht, sagt der 57-jährige, der dem TV-Publikum unter anderem auch als Hamburger "Tatort"-Kommissar Thorsten Falke bekannt ist – am Sonntag, 1. Dezember (20.15 Uhr, ARD), ist er im "Tatort: Schweigen" zu sehen, einem Fall, der im Umfeld der katholischen Kirche spielt.

Klare Sache für Möhring, dass das Teilen über dem Absichern der eigenen Speisekammer steht. Im Gespräch über Solidarität, unnütze Regeln und die ständige Lust auf Neues gibt sich der gebürtige Ostwestfale und Grimmepreisträger ("Der letzte schöne Tag") sympathisch offen und gut gelaunt, mit zackigen Antworten und ohne lange zu grübeln.

"Da muss man vor Scham im Boden versinken!"

prisma: Wie bereiten Sie sich selbst auf mögliche Ernstfälle vor? Horten Sie Vorräte im Keller?

Wotan Wilke Möhring: Nein, ich horte gar nichts. Dafür bin ich nicht der Typ. Wenn wir die tatsächlich existierenden Vorsichtsmaßnahmen der Bundesregierung umsetzen würden, bräuchten wir alle einen extra Kellerraum, alleine für das Wasser. Was ich aber könnte, ist Sachen selber anbauen, damit kenne ich mich aus.

prisma: Sie sind Gärtner?

Wotan Wilke Möhring: Gärtner nicht, aber ich bin gern draußen, und mich interessiert, wie die Welt funktioniert, und dazu gehört natürlich auch, als Kind mal gelernt zu haben, was Fruchtfolge ist und wann man am besten aussät (lacht).

prisma: Ist das ein Erbe Ihrer Waldorfschul-Zeit?

Wotan Wilke Möhring: Ich denke, das hat damit zu tun, aber auch damit, dass ich als Kind mal bei einem Bauern gearbeitet habe und immer wissen wollte, wie welche Pflanze heißt und ob man sie essen kann.

prisma: Kochen Sie auch gerne?

Wotan Wilke Möhring: Ich kann kochen und aus wenig etwas machen. Man darf sich aber nicht vorstellen, dass ich in einer hochpolierten Edelstahlküche sitze mit allen möglichen Geräten und Zutaten.

prisma: Was darf beim Film-Catering auf keinen Fall fehlen?

Wotan Wilke Möhring: Gutes Brot, das ist immer Mangelware. Häufig gibt es nur so nutzloses durchgeweichtes Weißmehlzeug. Gutes Brot – dafür ist Deutschland doch bekannt.

prisma: Mehl wurde ja vor einigen Jahren zum Luxusgut. Wie standen Sie zu den Hamsterkäufen während der Corona-Zeit?

Wotan Wilke Möhring: Ich fand es ganz schlimm, mit anzusehen, dass es so Hamsterleute gibt, die ihre Ellbogen benutzen, denn das bedeutet, man kauft anderen etwas weg. Es war ja nicht wie zu Beginn des Ukraine-Konflikts, wo es an der Versorgungskette lag, sondern einfach nur daran, dass Leute zu Hause 20 Kilo Mehl horten. Den Solidaritätsgedanken hätte ich anders eingeschätzt. Und das wurde noch befeuert von der Regierung. Man hatte nicht das Gefühl, dass gesagt wurde: "Leute, bleibt ruhig."

prisma: Was meinen Sie, warum haben die Menschen so reagiert?

Wotan Wilke Möhring: Genau das hat mich sehr interessiert: Warum werden Leute so, von einem Tag auf den anderen? Das ist tatsächlich Psychologie: Der Hamsterkäufer rennt los, der andere kauft dann auch, weil er denkt, der Hamsterkäufer hat einen Wissensvorsprung, von dem er nichts weiß, und denkt dann, das mache ich lieber auch. Stell dir vor, man schaut sich ein Video davon an, wie man selbst da in den Markt rennt und alle weghaut. Da muss man doch vor Scham im Boden versinken!

"Wir sind der Digitalisierung mehr ausgeliefert als je zuvor"

prisma: Hat sich die Gesellschaft durch Corona verändert?

Wotan Wilke Möhring: (Überlegt) Das weiß ich nicht. Corona hat etwas aus den Menschen hervorgeholt, von dem ich dachte, dass wir das vielleicht schon überlebt hätten. Diese totale Panik, dieses irrwitzige allein mit der Maske im Auto Fahren. Angst ist immer schlecht, und sie war allgegenwärtig. Aus Angst macht man groteske und irrationale Sachen, und ich fand es erstaunlich, wie schnell die Zivilisation zusammenbricht oder Gesetze außer Kraft treten wegen eines Virus, von dem man gar nicht viel weiß. Wie fragil die Gesellschaft ist, das hat man da gesehen.

prisma: Haben Sie auch positive Erinnerungen an die Zeit?

Wotan Wilke Möhring: Ein Plus war zumindest für mich, dass ich einfach intensiv Zeit hatte, um mich mit der Familie zu beschäftigen. Ich habe drei Kinder, die Sonne schien, wir konnten machen, was wir wollten, das war toll. Interessant fand ich, dass man die Welt eben doch anhalten kann, obwohl es immer heißt, der Markt müsse weitergehen. Das heißt, wir können den Klimawandel aufhalten, und zwar sofort!

prisma: Was meinen Sie damit?

Wotan Wilke Möhring: Das BIP ist vielleicht drei Punkte zurückgegangen, aber man kann alles anhalten, die Schlote für eine gewisse Zeit dichtmachen, und die Umwelt kann sich erholen. Genau das ist passierte in den paar Wochen. Man hat ja sogar vom Weltraum die Veränderungen auf der Erde gesehen. Unsere Ökonomie und Marktwirtschaft unterliegt teils Naturgesetzen. Man sagt immer, das ist halt so, daran kann man nichts machen. Nee! Gravitation ist ein Naturgesetz, aber nicht unser Markt. Auch Kriege, Gesetze, Grenzen, Fahnen, für die wir kämpfen, das haben wir Menschen uns alles ausgedacht. Deswegen kann man nicht sagen: Nichts zu machen. Doch! Einfach aufhören! Der Mensch hält sich jeden Tag an zigtausend Regeln, die ihm zum Teil zuwider sind, die absurd und grotesk sind, einfach nur, weil es sie gibt. Aber sie sind alle menschengemacht, deswegen können wir sie jederzeit ändern und anpassen.

prisma: Warum wollten Sie ausgerechnet eine Komödie zu diesem Thema machen und nicht etwa einen Thriller?

Wotan Wilke Möhring: Mir war es wichtig zu zeigen, wie man zum sogenannten Prepper wird. Die Pandemie war ihre Zeit, da haben sich diese Leute bestätigt gefühlt. Meine Figur ist jemand, der berufsmäßig weiß, wie das Stromnetz funktioniert. Die meisten von uns wissen gar nicht, dass die Energieversorgung genau so ein Markt und eine Maschinerie ist wie alles andere. Und wie fragil das System ist. Wir haben immer mehr Hinwendung zur Digitalisierung und sind dem mehr ausgeliefert als jemals zuvor. Wenn der Strom nicht läuft, dann ist es eben vorbei, weil wir alle unsere Fähigkeiten an die Elektronik abgeben. Ich habe bei dem Film ganz viel gelernt.

"Deutschland hat mehr als genug Strom aus Wind- und Sonnenenergie"

prisma: Sie sagen immer, Sie nähmen bei jedem Dreh etwas mit. Was war es diesmal?

Wotan Wilke Möhring: Ich habe mich natürlich damit auseinandergesetzt, wie der Strommarkt funktioniert und wie wir versorgungstechnisch aufgestellt sind. Alles, was ich im Film sage, habe ich selbst recherchiert und mich thematisch total reingespult. Deutschland hat mehr als genug Strom aus Wind- und Sonnenenergie, aber wir kriegen ihn nicht gespeichert oder als Trasse in den Süden. Die Betreiber eines Windrades bekommen pro Jahr hunderttausende Euro, egal ob das Rad sich dreht oder nicht. Damit kann man Geld verdienen, es ist ein Riesenmarkt. Aber wenn es mal keinen Wind und keine Sonne gibt, wird es schwierig.

prisma: Wie sieht es bei Ihnen mit Handy am Ohr und anderem technischem Schnickschnack zu Hause aus? Machen Sie sich nicht auch abhängig?

Wotan Wilke Möhring: Nein. Wir verlieren sonst unsere ganzen anderen Fähigkeiten. Mein Standardspruch ist: "Hat jemand mein Handy gesehen?" (lacht). Wenn ich zum Beispiel mit den Kindern wandern gehe, ist das Handy gar nicht gefragt. Gibt's nicht! Man darf denen das aber nicht nur verbieten, sondern man muss eine Alternative anbieten. Drei Kinder, die am Bach mit Stöcken spielen, vermissen das Handy überhaupt nicht. Natürlich muss man auch selber Vorbild sein. Trotzdem: Das Handy ist mein Hauptarbeitsinstrument, das komplett meinen Laptop ersetzt, aber ich muss es auch nicht immer hören oder bei Social Media unterwegs sein, wenn ich nicht will.

prisma: Was passiert, wenn Ihre Kinder beim Essen das Handy auspacken?

Wotan Wilke Möhring: Auf die Idee kommen die gar nicht. Nichts ist schlimmer, als einen Raum zu betreten, und da sitzen vier Kinder am Handy.

prisma: Sie sagten mal, Sie seien kein Helikopter-Vater und pflegen einen relativ freien Erziehungsstil. Womit können Ihre Kinder Sie trotzdem auf die Palme bringen?

Wotan Wilke Möhring: Da gibt es tausend Sachen, Kinder sind ja erfinderisch (lacht). Es gibt natürlich Regeln. Das Ende der Diskussion "Warum soll ich meine Jacke anziehen?" ist dann manchmal: "Weil ich es sage." Kleinen Kindern fehlt der Erfahrungsvorteil, dass man, wenn man keine Jacke anzieht, krank wird. Hab ich Bock, das Kind zwei Wochen zu pflegen? Nein, hab ich nicht. Deswegen: "Zieh die Jacke an!" Man muss auch nicht alles mit Kindern diskutieren, vor allem mit den ganz kleinen, die ja in dem Moment gar nicht auf Augenhöhe sind. Das basiert auf Vertrauen. Sie müssen wissen: Alles, was Papa und Mama sagen, ist gut für mich. Ob ich das verstehe oder will, ist etwas Anderes.

Ein neuer Beruf: "Mutter"

prisma: Wie wichtig sind Ihnen Schulnoten?

Wotan Wilke Möhring: Meine Kinder sind alle auf der Waldorfschule, da gibt es ja zum Glück keine Noten, sondern verbale Bewertungen, die viel mehr darüber ausdrücken, wo es kneift oder eben auch nicht. Die Noten sagen ja nichts über das Wissen eines Kindes aus, sondern nur, ob man das wiedergeben kann, was es mal gelernt hat. Das ist leicht zu erreichen, und deswegen kann man sich doch kurz Mühe geben.

prisma: Sie haben zwölf Jahre lang Geige gespielt, Sie waren Fallschirmjäger, Elektriker, Model, Türsteher, Musiker, Schauspieler ...

Wotan Wilke Möhring: .... und Student. Ich habe Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation auf Diplom in Berlin studiert. Aber das ist nicht so wichtig (lacht).

prisma: Was treibt Sie an, so viel Verschiedenes auszuprobieren? Abenteuergeist?

Wotan Wilke Möhring: Ja, genau. Mir ist schnell langweilig, wenn ich sehe: Das war es jetzt eigentlich, viel mehr kommt nicht. Deswegen habe ich meinen jetzigen Beruf seit 20 Jahren, denn der befriedigt genau diesen Drang, sich ständig wieder auszuprobieren. Als Schauspieler bist du ja ständig jemand anderes, und das ist für mich genau das Richtige.

prisma: Gibt es noch etwas, das Sie gerne abseits von der Schauspielerei machen möchten?

Wotan Wilke Möhring: Tausend Sachen! Alles, was ich noch nicht kenne, würde ich gerne ausprobieren. Es gibt keinen Grund zu sagen: Aus dem Alter bist du raus. Wenn man Lust darauf hat, etwas zu machen, sollte man das tun. Ganz konkret gibt es den Traum von einer großen Abenteuerreise mit den Kindern, vielleicht auch mit jedem einzelnen, die den Kindern in Erinnerung bleibt. Ein Jahr im Camper mit den Kindern um die Welt zu reisen, das ist ein Wunsch, bevor sie sich ablösen.

prisma: Wenn Sie König von Deutschland wären, was würden Sie gerne abschaffen oder veranlassen?

Wotan Wilke Möhring: Vieles. Ich würde diese ganzen Regeln hinterfragen und den Tropf der Bürokratie abbauen. Der ist vor langer Zeit entstanden, und man muss gucken, was davon noch wichtig ist. Dann würde ich veranlassen, dass Politiker ihre Diäten versteuern müssen. Und im Bundestag ließe ich die Bevölkerung sich selbst repräsentieren: einen Metzger, zwei Bäckerinnen, vier Türken, eine Albanerin. So wie die Gesellschaft ist, würde ich sie im Bundestag spiegeln. Vielleicht könnte ich sogar "Mutter" als Beruf ausrufen – welche Arbeit wäre wichtiger? Das, was wirklich wichtig ist, würde ich viel mehr fördern. In die Bereiche Forschung und Jugend muss viel mehr Geld, und nicht ins Militär.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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