"Zersetzt": Autopsie, Baby
Gerichtsmediziner Dr. Fred Abel (Tim Bergmann) ist der Beste seines Fachs. Der mit einer Staatsanwältin (Annika Kuhl) liierte Wissenschaftler wird immer dann gerufen, wenn besonders komplexe Fälle anliegen. In "Zersetzt", der SAT.1-Verfilmung eines True-Crime-Romans des echten Gerichtsmedizin-Stars Michael Tsokos, gibt es gleich zwei dieser XXL-Rätsel.
Zum einen müssen im osteuropäischen Transnistrien (gibt es wirklich!) zwei Kalkleichen identifiziert werden, von denen kaum noch etwas übrig ist. Hinter den Morden steckt wohl eine politische Intrige. Dazu treibt ein verrückter Arzt (Harald Schrott) in Berlin sein Unwesen. Er nimmt junge Frauen für sexuelle Lustexperimente gefangen. Sein neuestes Opfer, Kellnerin Jana (Svenja Jung), hat Dr. Abel kurz vor ihrem Verschwinden kennengelernt.
Es ist nicht die ganz feine literarische Klinge, die bei Michael Tsokos' und seinem Co-Autor Andreas Gößlings Roman geschwungen wird. Vielmehr geht es um eine drastische, wenn auch spannende Lese-Erfahrung rund um totes – und noch lebendiges – Fleisch. Wie das Buch, so der Film. Klar, hier werden die Klischees mit der Sackkarre herangerollt: böse osteuropäische Agenten, die sich genauso verhalten, wie man es von ihnen erwartet. Ein genialer Wissenschaftler, der zwischen zwei schönen Frauen steht – neben der von Annika Kuhl verkörperten Lebensgefährtin ist es Victoria Sordo als "höchstattraktive Geheimdienstchefin" (wiederholter Film-O-Ton). Und natürlich muss eine junge Frau (die talentierte Svenja Jung, sie spielte das geistig behinderte Mädchen in "Ostfriesenkiller") sich gegen ein überdrehtes Sexmonster wehren. Was dem Voyeur gefallen dürfte.
Ähnlich wie die Bestseller eines Sebastian Fitzek, um deren Verfilmungen sich SAT.1 ("Amokspiel") und RTL ("Passagier 23") gegenwärtig ein Wettrennen liefern, haut auch dieses handwerklich ordentlich in Szene gesetzte "Pulp Fiction"-Werk voll in die Kerbe der Funktionsliteratur. Spannend soll sie sein! Jeder Satz, jede Szene treibt die Handlung voran. Für Zwischentöne oder Weichei-Themen wie Psychologie und Philosophie ist keine Zeit. Schließlich müssen Leichen identifiziert und Irre überführt werden. Nebenbei steht der Held, jener hochpotente Gerichtsmediziner, der zufällig auch das Alter Ego des Autoren ist, ebenfalls unter schwerwiegendem Verdacht.
Wer die Handlung von "Zersetzt" seriös zu beschreiben versucht, kann sich ob des auf Effekt gebürsteten Plots ein inneres Augenrollen kaum verkneifen. Trotzdem sieht das Ganze im Film nicht so schlimm aus, wie es klingt. Regie-Routinier Hansjörg Thurn ("Die Wanderhure", "Helden – Wenn dein Land dich braucht") ist bekannt dafür, ohne Hemmungen in Bezug auf vulgäre Stoffe zum Job zu erscheinen. Auch mit "Zersetzt" ist ihm ein drastisch launiger Thriller gelungen, der sein Publikum mit hochgetakteten Schockmomenten bei Laune hält. Und er tut dies auf durchaus gehobenem Free-TV-Niveau.
Im Anschluss an den Thriller läuft um 22.25 Uhr die Doku "Zersetzt – Die wahre Geschichte", in der Autor Michael Tsokos Einblicke in seinen Beruf gewährt. Was er zur Darstellung von Rechtsmedizin in TV-Krimis sagt, lesen Sie hier im Interview.
Quelle: teleschau – der Mediendienst