Film im ZDF

"Sterne über uns": Mit Würde durch die Notlage

von Jasmin Herzog

Obdachlosigkeit kann jeden treffen. Das müssen auch Melli und ihr Sohn Ben erfahren, die vorübergehend ihr Zelt im Wald aufstellen, während sie als Flugbegleiterin arbeitet und er weiter zur Schule geht.

ZDF
Sterne über uns
Drama • 15.06.2020 • 20:15 Uhr

Obdachlosigkeit ist ein Problem, das nur Menschen betrifft, die ohnehin immer am Rand der Gesellschaft gelebt haben. – So oder ähnlich lautet ein gängiges Vorurteil über jene, die auf der Straße ihr Dasein fristen. Dass die Dinge so einfach nicht sind, und dass auch die Mittelschicht nicht unbedingt davor geschützt ist, das Dach über dem Kopf unerwartet und plötzlich zu verlieren, zeigt eindrucksvoll das fantastische Drama "Sterne über uns". Jetzt zeigt das Zweite den Film, der auf dem Münchner Filmfest 2019 Premiere feierte und  im Januar bei ARTE erstmals im Fernsehen lief.

Es ist wie ein Traum, ein großes Abenteuer. "Ich und meine Mutter, wir wohnen auf einem Baum, ganz oben auf der Spitze. Wir haben uns ein cooles Haus gebaut", sagt der neunjährige Ben (Claudio Magno) zu seinem neuen Schulfreund Max (Leon Kamps), bei dem er ausnahmsweise schlafen darf. In Wahrheit lebt Ben mit seiner Mutter Melli (Franziska Hartmann) in einem einsamen Zelt im Wald. Sie haben es dort aufgeschlagen, weil sie obdachlos geworden sind. Im Obdachlosenheim, neben Pennern und Drogensüchtigen wollte die Mutter nicht leben.

Zu Beginn des Films "Sterne über uns" sieht man sie, wie sie durchs Gestrüpp aus dem Unterholz einem Bahndamm entgegenstreben – sie im akkuraten blauen Kostüm mit weißer Bluse. Als sie hinfällt, sagt der Junge: "Du hast einen Arschfleck und eine Naht ist auf."

Glücklicherweise hat er nur Spaß gemacht, denn Melli ist bei einer Fluggesellschaft als Flugbegleiterin in Probezeit, gerade wird sie übernommen. Ein ganz anderes Abenteuer beginnt da für die Mutter. Immerzu wird sie ihre Wohnungslosigkeit verschweigen, auch weil das Jugendamt sonst den Jungen nimmt. Melli – eine grandiose Franziska Hartmann spielt sie mit großer Natürlichkeit – wird sich verstellen müssen, heimlich umziehen, den Sohn zur Schule bringen und die Frau vom Jugendamt (Nicole Johannhanwahr) abwehren und immer wieder vertrösten müssen.

Freundinnen, die sie um eine vorübergehende Bleibe bittet, wehren ab. Melli wird gejagt, aber sie zeigt Stärke. Sie kann das, auch wenn sie trickst. Auch wenn sie Geld beschaffen muss, verliert sie nicht die Würde.

Alles das hat sie offensichtlich auch an ihren Sohn Ben weitergegeben. Sie ist, schon klar, eine gute Mutter, die weiß wie man ein Kind erzieht, wie man es zu Selbstbewusstsein und Stärke führt. Beide halten zusammen, sie gehen gemeinsam durch dick und dünn. Das Leben im Zelt ist toll, auch wenn sich mal Nacktschnecken hinein verlaufen oder womöglich Frösche darin hüpfen. Ben wünscht sich, dass sie zusammen einen "Wall gegen die Wildschweine" bauen – vielleicht doch einen Wall gegen die Welt?

Gegen die Pfadfinderromantik hat Autorin und Regisseurin Christina Ebelt in ihrem Spielfilm-Regiedebüt die Akkuratesse des Flugbegleiterlebens in Uniform und hochhackigen Schuhen gestellt – zwei Welten prallen aufeinander. Doch es bleibt nicht etwa bei aufgesetzter Symbolik. Im Gegenteil: Im Einzelnen sind die Szenen sehr genau und wirklichkeitsnah inszeniert, sei es bei der Verweigerung eines Bankkredits oder der Freundschaft mit Bens Lehrer (Kai Ivo Baulitz), die eher der Not gehorcht.

Die Kamera ist immer nah, die beiden Hauptdarsteller agieren großartig bis zum melodramatischen Ende, wenn Melli bei der Trennung einen so herzzerreißenden Schrei ausstößt wie Anita Valli in Michelangelo Antonionis Nachkriegsfilm "Der Schrei". Dank einer mitreißenden Inszenierung abseits jeglicher Sozialklischees und einer herausragenden Franziska Hartmann darf man das vom "Kleinen Fernsehspiel" beim ZDF mitgeförderte Drama problemlos als ein Highlight deutschen Film- und Fernsehschaffens im letzten Jahr bezeichnen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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