Michael Brandner: "Im Gegensatz zum Girwidz bin ich halbwegs lernfähig"
Michael Brandner, bekannt aus der ARD-Erfolgsserie "Hubert ohne Staller", findet im überraschend politischen Interview klare Worte – und er verrät, warum er nicht nur einmal selbst bei der Polizei vorstellig wurde.
"Man trinkt Tee, damit man den Lärm der Welt vergisst": Die Zen-Weisheit ist in der Speisekarte der kleinen Schwabinger Teestube nachzulesen, die Michael Brandner als Ort für das Interview auserkoren hat. Der Schauspieler, der gleich um die Ecke wohnt, hat die gediegene Lokalität trefflich gewählt. Immerhin erscheint der 67-Jährige im gepflegten hellblauen Anzug nebst Einstecktuch. – Der distinguierte Auftritt ist vom verzweifelten Gepolter der Wolfratshausener Polizistenlegende Reimund Girwidz, die Brandner in der ARD-Vorabendserie "Hubert ohne Staller" (neue Folgen ab Mittwoch, 23. Oktober, 18.50 Uhr) verkörpert, mindestens so weit entfernt wie dieses Bistro von einer oberbayerischen Boazn. Der Lärm der Welt, das merkt man schnell, ist dem kultivierten Mann, der so gerne kocht und seine Anzüge nach eigenem Bekunden tatsächlich selbst entwirft, ein Gräuel. Versteht sich, dass Brandner auch im Interview als Freund des gepflegten Tons und der klaren Worte besticht. Wenn es allerdings um politische Verwerfungen geht, ist es mit der Contenance auch schnell mal dahin.
prisma: Herr Brandner, wie war es auf dem Oktoberfest?
Michael Brandner: Ah, Sie haben mein Foto auf Facebook gesehen (lacht). An einem sonnigen Nachmittag mit der Familie da draußen zu sitzen, das hat schon was. Eigentlich muss ich aber gestehen, dass ich hauptsächlich tagsüber Fan der Wiesn bin.
prisma: Was stört Sie?
Brandner: Größere Menschenansammlungen sind mir grundsätzlich suspekt. Der Trubel am Abend in den Zelten ist nicht mein Metier. Na ja, vielleicht fängt es nach zwei Maß an, Spaß zu machen, aber das habe ich noch nie geschafft. Ich trinke kaum Bier, sondern lieber einen guten Wein.
prisma: Meiden Sie größere Veranstaltungen auch, weil Sie als bekannter Seriendarsteller überall erkannt werden?
Brandner: Nein, das ist nicht der Punkt. Mich stört eher die Unberechenbarkeit, wenn viele Menschen zusammenkommen. Ich war in meinem Leben ganze zweimal in einem Fußballstadion – und das hat gereicht. Das Gedränge und den Lärm finde ich schwer erträglich. Das sage ich als alter Dortmunder, der sich der Bedeutung des Fußballs in dieser Region durchaus bewusst ist (lacht).
prisma: Vermissen Sie manchmal das Ruhrgebiet?
Brandner: Ja – vor allem den alten Pott, der war grandios. Ich bin in den 50er- bis 70er-Jahren als Sohn eines Bergmanns aufgewachsen: Brieftaubenfreunde, Karnickelzüchter, Männergesangsverein, Kleingarten und auch Fußball – wir waren mittendrin in diesem wunderbaren Leben.
prisma: Was genau mochten Sie?
Brandner: Die Menschen, auf die man sich verlassen konnte, wenn es darauf ankam. Man hielt zusammen, egal, wer man war oder woher man kam. Ob Westfale, Türke oder Pole – es war keiner besser als der andere, denn irgendwie waren fast alle aus irgendeiner Ecke der Welt ins Ruhrgebiet gespült worden, um sich ein möglichst besseres Leben aufzubauen. Mir schwillt der Kamm, wenn ich sehe, wie verkrampft heutzutage über Integration debattiert wird – damals bei uns war das völlig normal. Aber auch im Ruhrgebiet ist heute vieles anders. Leider.
prisma: Es gab den Strukturwandel – der Bergbau ist fast komplett verschwunden.
Brandner: So ist es. Aber wie diese leider unausweichliche Phase des Umbruchs von der Politik begleitet und ins beinahe Unendliche verschleppt wurde, das hat tiefe Spuren bei den Menschen der Region hinterlassen.
prisma: Was meinen Sie?
Brandner: Niemand hatte einen Plan, es gab keine Vision in den 80er- und 90er-Jahren. Eine Mitschuld gebe ich den Gewerkschaften, die, verzahnt mit der damals in NRW durchregierenden SPD, den Leuten über viele Jahre vorgaukelten, dass es irgendwann wieder aufwärtsgehen und alles wieder gut werden wird. Das war verheerend, damit wurde den Leuten mittleren Alters die Chance verbaut, rechtzeitig umzusteigen. Stattdessen ging es eben los, dass man diese Menschen dann durch irgendwelche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Kurse gescheucht hat, auf dass sie in Bürojobs unterkommen. Aber das funktionierte nicht. Die Leute waren nach den quälenden Jahrzehnten im Eimer. Aus den großartigen Stahlwerks- oder Grubenarbeitern wurden mitnichten Dienstleister, sondern Langzeitarbeitslose und Schwarzarbeiter.
prisma: Sie sind politisch extrem bewandert und engagiert, aber nicht in einer Partei.
Brandner: Ja, ich bin ein politischer Mensch, aber ich weiß auch, dass Demokratie wahnsinnig anstrengend ist. Das ist eine Mordsmaloche, wie heute jeder weiß, der klar denken kann. Deswegen haben wir leider auch so viele Leute in der Politik, denen es nur um Macht und Einfluss geht. Dabei bräuchten wir dringend Politiker, die sich aufs moderne Managen verstehen. Denn die Wahrheit ist: Wir sind in so vielen Bereichen im internationalen Vergleich weit hinterher – was auch dem Föderalismus und dem verflixten Anbeten der Schwarzen Null geschuldet ist. Wir bräuchten dringend Investitionen. Nehmen wir nur mal die Bildungspolitik. Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Politiker, und die Rattenfänger sind schon da, um sie aufzusammeln.
prisma: Sie wurden unlängst auch bei der großen "Fridays for Future"-Demo in München gesichtet...
Brandner: Ja, eine tolle Sache mit Zehntausenden Menschen. Aber was da gleichzeitig von der Regierung als Lösung gegen den Klimawandel ausgehandelt wurde, empfanden die Leute als Schlag ins Gesicht. Der CO2-Preis, über den so viel diskutiert wurde, soll anfangs nur bei zehn Euro pro Tonne liegen. Als die Informationen aus Berlin bei der Demo ankamen, habe ich viel Verzweiflung gesehen.
prisma: Es ist eher selten, dass sich Prominente derart explizit politisch äußern – die Reaktionen und Anfeindungen werden in Zeiten von Social Media immer heftiger.
Brandner: Ach, das muss man aushalten. So viel Rückgrat muss ich doch haben als Künstler. Gerade wenn es gegen Rechts geht. Je mehr bekannte Leute sich äußern, umso schwerer fällt es denen, ihre Shitstorms auf Einzelne zu konzentrieren. Also: Alle Leute, die in der Lage sind, Öffentlichkeit zu erzeugen, im Grunde alle Kulturschaffenden, sind aufgerufen, zu sagen, was sie denken. Sonst ist es vielleicht irgendwann zu spät.
prisma: Haben Sie Verständnis für Menschen, die sich entscheiden, die AfD zu wählen?
Brandner: Nein. Jedenfalls kann ich sie nicht mehr als Mitläufer bezeichnen, denn jeder kann längst klarsehen, mit welchen Menschen und mit welchem Gedankengut man es da zu tun hat.
prisma: Haben Sie eine Idee, woher die gesellschaftliche Spaltung ursächlich rührt?
Brandner: In den letzten Jahrzehnten wurden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer, was wiederum eine Neiddebatte auslöste: Sozialneid ist eine starke Kraft. Meine Theorie ist: Ein Teil der Gesellschaft grummelte schon lange im stillen Kämmerlein vor sich hin. Die Wut wuchs und wuchs, und dann kam jemand mit ein paar kessen Parolen daher, und plötzlich haben wir den Salat. Dazu die Komponente Social Media: Es sind leider ertragreiche Zeiten für jene, die sich aufs Manipulieren verstehen.
prisma: Und gerade in diesen Zeiten wird auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen immer häufiger angefeindet: das Massenmedium, das auf breiter Front aufklären und uns im demokratischen Sinne verbinden soll.
Brandner: Ja, und wenn's das Öffentlich-Rechtliche in Deutschland nicht mehr gibt, dann war es das mit der Demokratie: That's it!
prisma: Sie müssen wohl doch in die Politik!
Brandner: Nein, ich bin Gründer und Ehrenvorsitzender des Bundesverbandes Schauspiel, außerdem bin ich Vorsitzender der Deutschen Akademie für Fernsehen, das reicht an Posten. Man wird ja auch nicht jünger. Der Fokus verschiebt sich in Richtung Familie. Nächstes Jahr feiere ich Silberhochzeit mit meiner Frau, das will ich nicht in Gefahr bringen (lacht).
prisma: Dabei würde so eine Parteikarriere noch fehlen in Ihrer Biografie. Sie haben eine Ausbildung als Schreiner, Bauzeichner und Innenarchitekt, gingen dann zum Bundesgrenzschutz, um sich danach der Hausbesetzerszene anzuschließen. Erst später kamen Sie über das Theater zum Schauspielen ...
Brandner: Ja, verrückt. Was meine politische Haltung angeht, war die Zeit beim BGS entscheidend: Dort waren damals noch so viele alte Komissköppe aus der Nazizeit, dass ich mich komplett nach links gedreht und sofort den Hausbesetzern angeschlossen habe, wo ich das Netzwerk, aus dem später die Grünen entstanden, mit aufbaute. Allerdings sind mir die Hausbesetzer irgendwann zu radikal geworden – besonders in Berlin. Ich wollte nie Steine auf Polizisten schmeißen, sondern glaubte immer an gewaltfreie, parlamentarische Lösungen. Aber die kamen damals auf dummen Ideen, und viele waren nicht besser als jene, gegen die sie waren.
prisma: Hat Ihre Zeit beim BGS Ihr Polizistenbild geprägt?
Brandner: Das Bild, das ich damals hatte, war kein Gutes. Aber heute ist eine andere Zeit, mir ist sehr bewusst, wie wichtig die Autorität unserer Polizei für den Rechtsstaat ist. Polizisten sollte man mit Respekt behandeln – dafür muss insbesondere auch die Regierung sorgen, indem die Polizei endlich vernünftig ausgestattet wird. In den Revieren sieht es oft wirklich so ähnlich aus wie bei "Hubert ohne Staller".
prisma: Wieso waren Sie denn bei der Polizei?
Brandner: Weil ich meinen Führerschein abgeben musste. Nicht zum ersten Mal, ehrlich gesagt. Einmal hat es mich auf einer Fahrt von Hamburg nach München sogar zweimal erwischt – also zweimal Schein weg. Bin ich nicht stolz drauf.
prisma: Der Girwidz ist ein Raser!
Brandner: Nein, ehrlich nicht. Es ist nur leider so, dass ich die Vielzahl an Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen manchmal übersehe. Aber nun ist alles gut: Ich habe ein hochmodernes Navi, dass mich akustisch auf jeden Geschwindigkeitswechsel hinweist. Außerdem bin ich ja im Gegensatz zum Girwidz halbwegs lernfähig.
prisma: Sie und der inzwischen vom Polizeirat zum Polizeiobermeister degradierte Girwidz – war das von Anfang an eine Liebesbeziehung?
Brandner: Ja. Das hat auch wieder mit meiner BGS-Zeit zu tun: Was man da als Untergebener an eitlen Vorgesetzten in Offiziersuniform alles miterlebt hat, war eine wunderbare Inspiration. Girwidz ist in seiner Zerrissenheit zwischen Selbstüberschätzung und Selbsterhaltung eine perfekte Projektionsfläche für mich als Schauspieler. Dazu die permanente Verzweiflung als Chef einer Truppe, deren Denken man nicht mal begreift, weil keine Logik erkennbar ist – das ist die ideale Voraussetzung für Komik. Und zur Komik gehört natürlich immer auch die große Tragik.
prisma: Girwidz hat vor einem Jahr alles verloren: seinen Dienstgrad, seine Stellung als Chef, seine Ehefrau – sogar seine Selbstachtung. Das Irre ist: Er macht trotzdem weiter.
Brandner: Weil er keinen anderen Weg sieht. Der kann ja nichts. Also macht er weiter – absurderweise mit der Hoffnung, wieder an seinen alten Posten zu gelangen. Der verzweifelt jeden Tag und schläft jede Nacht mit dem gleichen Mantra ein: "Alles wird wieder gut!" Wird es natürlich nicht – aber genau so funktioniert Komik. Wir spielen da auch mit dem oft verschobenen männlichen Selbstbild. Girwidz flirtet ja sogar mit der neuen Chefin (gespielt von Katharina Müller-Elmau, d. Red.), da möchte man ihm am liebsten zurufen, ob er denn noch nie in den Spiegel geschaut hat. Herrlich!
prisma: Ganz ehrlich: Dachten Sie an eine Fortsetzung, als Helmfried von Lüttichau alias Staller seinen Ausstieg bekanntgab?
Brandner: Nein. Damit war das Thema für mich eigentlich erledigt. Aber dann kam die glorreiche Idee auf, eine Frau als Boss zu installieren und Girwidz künftig mit Hubert (gespielt von Christian Tramitz, d. Red.) in den Streifenwagen zu setzen. Ich glaubte daran, und die phänomenalen Quoten der ersten Staffel ohne Staller gaben uns recht. Wir bleiben Wolfratshausen und Umgebung also erhalten.
prisma: Dem Tourismus vor Ort hat die Serie wohl nicht geschadet...
Brandner: Absolut, "Hubert ohne Staller" ist ein Fremdenverkehrsfaktor – es gibt Studiovisits und ganze Radtouren zu den diversen Schauplätzen. Wer also mal das echte "Café Rattlinger" besuchen möchte: Es existiert – unter anderem Namen natürlich – in Ammerland.
prisma: Echte Fans wissen so was natürlich längst. Was denken Sie: Warum sind die sogenannten "Wohlfühlkrimis" so beliebt?
Brandner: Es hat wieder mit diesen Zeiten zu tun: Alle sind irgendwie gestresst oder überfordert – da kommt so eine Stunde Entspannung mit ein paar Trotteln, die sich vor landschaftlich reizvoller Kulisse ein bisschen im Weg stehen, gerade recht. Im Ernst: Heutzutage die Leute zum Schmunzeln zu bringen, ist das Beste, was man für sein Karma tun kann. Mich macht der Job glücklich.
prisma: Sind Sie trotzdem manchmal neidisch auf Ihre Kollegen vom "Tatort"?
Brandner: Höchstens wenn es um die Drehzeit und das Budget geht. Oder um die Achtung innerhalb der Branche, weil es in Deutschland diese eigenartige Trennung zwischen E und U gibt. Dass man eine Komödie als "leichte Muse" bezeichnet, ist doch ein Witz. Schließlich ist nichts schwerer herzustellen als eine gute Komödie.
Quelle: teleschau – der Mediendienst