Film bei ARTE

"Meine Tochter": Mutterschaft neu gedacht

von Jasmin Herzog

Ein junges Mädchen zwischen zwei Frauen: Eine ist ihre Adoptivmutter, die andere – so erfährt sie später – ihre leibliche Mutter. In dem aufwühlenden Drama "Meine Tochter" von Laura Bispuri wird Mutterschaft neu verhandelt.

ARTE
Meine Tochter
Drama • 21.10.2020 • 22:40 Uhr

Weibliche Identitätskonflikte sind ein Thema, das die italienische Regisseurin Laura Bispuri beschäftigt. Bereits in ihrem spannenden Spielfilmdebüt "Sworn Virgin" (2015) zeigte sie eine Frau im traditionsverhafteten Albanien, die gegen die ihr zugedachte, eng gefasste Frauenrolle aufbegehrte. In ihrem Coming-of-Age-Drama "Meine Tochter" (2018) geht es um gleich drei Frauen, die sich in den patriarchalischen Strukturen einer gottverlassenen Gegend neu finden müssen. Bispuri besetzte eine der weiblichen Hauptrollen wieder mit Alba Rohrwacher, die bereits in "Sworn Virgin" brillierte. Aber auch die damals neunjährige Hauptdarstellerin Sara Casu und Valeria Golino liefern eine sehr authentische Schauspielleistung ab. ARTE zeigt den Film nun als Free-TV-Premiere.

Die neunjährige Vittoria (Sara Casu) wächst überängstlich behütet bei ihrer Mutter Tina (Valeria Golino) und deren Ehemann auf. Eines Tages "erwischt" Vittoria eine Frau beim Rodeo in einer eindeutigen Situation – es handelt sich um Angelica (Alba Rohrwacher), die "Dorfschlampe". Das rothaarige Mädchen ist vom ersten Augenblick an von der ihr erstaunlich ähnlich sehenden, freizügigen Angelica fasziniert, ahnt jedoch noch nicht, dass sie mit ihr mehr gemeinsam hat, als ihr Aussehen.

Seit Jahren kümmert sich Vittorias Mutter heimlich um die so ganz andere Angelica, und dem Zuschauer dämmert es eher als der Neunjährigen: Angelica ist ihre leibliche Mutter. Die beiden Frauen haben einen Deal gemacht: Tina unterstützt sie finanziell, wenn Angelica sich von Vittoria fernhält. Nun fordert der Gerichtsvollzieher jedoch eine noch größere Summe von Angelica, die auch Tina nicht aufbringen kann. Doch bevor Vittorias leibliche Mutter die Insel für immer verlässt, will sie einen Tag mit ihrer Tochter verbringen.

Dank der grandiosen Handkamera des bosnischen Kameramanns Vladan Radovic ist man als Zuschauer von Anfang an atemberaubend nah an den drei Frauen dran. In den weitgehend ohne Schnitt aufgenommenen Szenen kommt überhaupt kein Schwarz-Weiß-Denken auf, obwohl Bispuri und ihre Co-Autorin Francesca Manieri Tina und Angelica extrem gezeichnet haben: Auf der einen Seite die madonnengleiche, besitzergreifende Mutter, auf der anderen Seite die unverantwortliche Sexschlampe.

Dennoch kann man, ebenso wie Vittoria, beiden Frauen viel abgewinnen: Tina vermag Geborgenheit und Zärtlichkeit zu schenken, während die charismatische Angelica verlockende Wildheit, Eigenständigkeit und Sinnlichkeit verkörpert. Die an der Schwelle zur Pubertät stehende Vittoria fühlt sich von Angelica angezogen und verbringt immer mehr Zeit mit ihr. Angelica, die eine verborgene neue Seite in sich entdeckt, lacht und tanzt mit ihr, verhält sich aber auch immer wieder völlig unverantwortlich. Die kontrollsüchtige Tina dreht inzwischen fast durch vor Eifersucht, bis sie anfängt, selbst ein wenig loslassen zu lernen. So hinterfragen bald beide Frauen ihr starres Bild von Mutterschaft.

Doch Bispuri schlägt sich auf keine Seite. Stattdessen bleibt sie ganz bei Vittoria, die alles genau beobachtet und erkundet. Kurz nach ihrem zehnten Geburtstag sieht sich das gereifte, junge Mädchen – und mit ihr die beiden Frauen – in der Lage, Mutterschaft ganz neu zu denken, weit weg von altbackenen Konventionen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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