Cybermobbing, Ehebruch, Vorstadthölle: "LenaLove" hat sich eine Menge vorgenommen. Gleich in der ersten Szene lässt der Filmemacher Florian Gaag einen Kleinbus in das Wohnzimmer einer Familie rasen, die am Esstisch gerade ziemlich ernsthafte Probleme zu lösen versucht. Da ist man als Zuschauer erstmal verwirrt. Ein Gefühl, das rund 90 Minuten lang Bestand haben wird: Regisseur Gaag, der vor zehn Jahren mit dem Graffiti-Film "Wholetrain" ein famoses Kinodebüt ablieferte, kann sich nicht so recht entscheiden, ob sein zweiter Film Romanze, Coming-of-Age-Drama, Mysterythriller oder Sozialstudie sein will. Dabei hat er vieles richtig gemacht und mit Emilia Schüle eine perfekte Titeldheldin gefunden. ARTE zeigt den sehenswerten Film-Mix als Free-TV-Premiere.
Die Handlung von "LenaLove" beginnt sieben Tage vor dem Auftaktcrash. Gaag nimmt sich viel Zeit, um seine Figuren und ihre komplexen Beziehungen untereinander einzuführen. Zunächst ist da Lena (Schüle), ein vielseitig begabtes Mädchen, das aber immer etwas einsam dreinschaut und ihre Umwelt mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination beobachtet. Sie ist eine Außenseiterin und holt sich in sozialen Netzwerken als LenaLove die Bestätigung, die ihr in der realen Welt fehlt.
Ihr Gefühlskosmos ist gerade ziemlich durcheinander. Lena ist heimlich in ihren mysteriösen Mitschüler Tim (Jannik Schümann) verknallt und bekommt mit, dass ihre Mutter (Anna Bederke) ein Verhältnis mit dem Vater ihrer besten Freundin Nicole (Kyra Sophia Kahre) hat. Die Freundschaft ist allerdings wegen der intriganten Stella (Sina Tkotsch) erkaltet. Nicoles Vater wiederum ist der Trainer des örtlichen Tanzclubs, dessen bester Tänzer ein schwerwiegendes Eheproblem hat.
In der idyllischen Vorstadtsiedlung, in der sie alle wohnen, öffnen sich einige Höllenschlunde, die Gaag mit unbedingtem Gestaltungswillen eindrücklich bebildert. Erst nach einer halben Stunde entschließt sich der Filmemacher, etwas Ordnung in seinen düsteren, metaphorisch wabernden und umständlich erzählten Film zu bringen. Dann nimmt "LenaLove" merklich Fahrt auf: Stella und Nicole nutzen ein Fake-Profil aus einem sozialen Netzwerk, um Lena eins auszuwischen – mit fatalen Folgen.
Dabei gelingt es Gaag recht gut, die Funktionsweise von Cybermobbing zu erklären, ohne herablassend oder belehrend zu sein. Er zeigt einfach, dass es Cybermobbing ohne reale Personen gar nicht geben kann. Der virtuelle Raum ist nur einer von vielen Kriegsschauplätzen. Opfer und Täter leben in der echten Welt, in der Handlungen auch Konsequenzen für Leib und Leben haben können.
Die Atmosphäre des Films ist fesselnd, Lebenswelt und Sprache der Teenager sind perfekt getroffen, und die Konsequenz, mit der Gaag daraufhin steuert, den Kleinbus ins Wohnzimmer lenken zu lassen, ist bemerkenswert. Die Befindlichkeiten der Opfer werden, auch dank überzeugender Darstellerleistungen, fein herausgearbeitet. Die Täter hingegen bleiben leider allzu eindimensional.
Quelle: teleschau – der Mediendienst