Der Dokumentarfilm "Kulenkampffs Schuhe" zieht Parallelen zwischen der Verdrängungslust der Nachkriegsdeutschen und ihren geliebten Samstagabendshows – mit einer sehr persönlichen Note.
Die Schuhe des Showmasters waren das Letzte, auf das man geachtet hätte. Wer wusste auch, dass sich darin Hans-Joachim Kulenkampffs Füße ohne vier im Krieg selbst abgeschnittene Zehen verbargen? Er hatte seine Füße auf diese Weise an der russischen Ostfront vor dem Frostbrand geschützt. Nur die Mutter der Autorin des Dokumentarfilms "Kulenkampffs Schuhe" (2018, nun als Wiederholung in 3sat zu sehen) achtete beim Quiz "Einer wird gewinnen" auf die Kleidung. Regina, ihre jüngste Tochter, liebte vor allem die Spiele, durch die sich die Kandidaten aus acht Ländern schlugen: Stoffe erraten, Hochprozentiges den dazugehörigen Ländern zuordnen, solche Sachen.
Am Ende kam immer Martin Jente als Butler, der "Kuli" Hut und Mantel reichte. Dass Jente mal SS-Hauptscharführer war, kam erst viel später ans Licht. – Regina Schillings aufwendig recherchierter, jedoch mit leichter Hand servierter Kompilationsfilm bringt die Erkenntnis, dass die Fernsehunterhaltung der Nachkriegsära auf rührende Weise darum bemüht war, die Deutschen von ihrem Kriegstrauma zu befreien.
Kuli mit seinem Quiz "Einer wird gewinnen" (ab 1964, dann noch einmal in den 1980ern) gilt dabei die meiste Aufmerksamkeit. Doch im Kern geht es im Film, der fast ausschließlich aus privatem und international zusammengetragenem Archivmaterial besteht, um das unglückliche Leben des Vaters der 1962 geborenen Autorin und Regisseurin. Nie hatte er nach dem Krieg über seine offensichtlich traumatischen Kriegserlebnisse gesprochen. Nicht mit den Kindern, aber auch nicht mit der Mutter. Immer wieder fragt sich Regina Schilling in ihrem Film: Was hatte er damals gemacht, was dachte er, wenn sie an Samstagabenden in der Familienrunde "frisch gebadet" vor dem Fernseher saßen bei "Einer wird gewinnen", bei der "Peter-Alexander-Show" oder, später, bei Hans Rosenthals "Dalli Dalli"?
Indem sie sich an ihre glücklichen Samstagabende und die gewissermaßen zur Familie gehörigen Showmaster erinnert – Kulenkampff wurde 1921, der Vater 1925 geboren, wie Hans Rosenthal, der als Jude in einer Berliner Laube überlebte -, erzählt die Autorin zugleich viel vom eigenen Familienleben. Der Vater ist als Drogist in eine Nachkriegskarriere verstrickt, risikoverhaftet und nun noch einmal höchst gestresst im Hamsterrad des Wirtschaftswunders. Gestresst fast so wie im Krieg, in dem er zuletzt in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet.
Trotz allen Archivmaterials aus verschiedenen Fernsehzeiten liefert die Autorin eine sehr persönliche Sicht auf die Dinge. Am Ende, wenn Kuli seinen von Martin Jente gereichten Mantel überstreift und von dannen geht, wird in der Doku einer der schrecklichsten Texte in deutscher Sprache zitiert: Hitlers Rede an Hitlerjugend-Leiter, gehalten im Dezember 1938, in der er die fortdauernde Umerziehung Unwilliger proklamiert – kulminierend in der Drohung: "Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben." Der Satz wird zum nachdenklichen Nachruf auf den Vater. Kein Zweifel, dass er für eine ganze Generation von Showmastern und deren Zuschauer gelten kann.
Schillings Dokumentarfilm wurde 2019 sowohl mit dem Grimme-Preis als auch mit dem Deutschen Fernsehpreis prämiert. Im Anschluss an die Ausstrahlung ihres Werks widmet sich auch "Der 3satThema Talk" (um 21.45 Uhr) den Inhalten von "Kulenkampffs Schuhe": Gemeinsam mit der Moderatorin Cécile Schortmann diskutieren Regina Schilling, Hugo Egon Balder sowie der Autor und Journalist Harald Jähner unter dem Motto "Fernseh-Show und Nazi-Trauma: Sprechen, Verdrängen, Unterhalten" über die deutsche Nachkriegshistorie.
Zum Abschluss des großen Themenabends unter dem Titel "Die große Nachkriegsshow" hat 3sat dann noch die Wiederholung einer Originalfolge von "Einer wird gewinnen" (um 22.15 Uhr) im Programm. Dabei handelt es sich um eine Aufzeichnung aus der Wiesbadener Rhein-Main-Halle vom März 1966.
Quelle: teleschau – der Mediendienst