Jochen Breyer: "Atmosphäre schnuppern ist gar nicht so einfach"

Gemeinsam mit dem amtierenden Weltmeister Christoph Kramer (27), Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach, bildet der 35-jährige Jochen Breyer bei der Fußball-WM in Russland ein wohl rekordverdächtig junges Moderatorengespann. Ab 14. Juni begleiten Kramer und Breyer, den man vom "aktuellen Sportstudio" und den Champions League-Übertragungen des ZDF kennt, im Wechsel mit dem Duo Oliver Kahn und Oliver Welke für ihren Sender vier Wochen lang die Spiele von Russland.
Für den Sportjournalisten Breyer, dessen Traumberuf immer Fußballreporter war, ist es die erste Teilnahme an einer Weltmeisterschaft. Im Interview spricht er über den Zauber von WM-Überraschungen, "das Problem" der eigenen Jugend und eine Droge namens Fußball, die angeblich kaum Nebenwirkungen zeigt.
prisma: Spielen Sie noch selbst Fußball?
Jochen Breyer: Ich spiele selbst – allerdings nicht im Verein, sondern als Hobbykicker im Park. Ich kicke mit meinen Kumpels vom Studium im Englischen Garten in München. Manchmal treffen wir uns auch in einer etwas verranzten Schwabinger Schulturnhalle.
prisma: Sie haben nie richtig im Verein gespielt, noch nicht mal Kreisklasse?
Breyer: Bis zur C-Jugend spielte ich Fußball im Verein. Das war noch in Walldorf bei Heidelberg, wo ich geboren bin. Danach spielte ich vor allem Handball und betrieb Leichtathletik.
prisma: Wollten Sie damals schon Sportjournalist werden?
Breyer: Ja, eigentlich wusste ich das sehr früh. Meine Kumpels wollten immer Fußballstar werden und träumten davon, das entscheidende Tor im WM-Finale zu schießen. Ich träumte davon, im "aktuellen Sportstudio" vor der Kamera zu stehen. So wie mein Vorbild Günther Jauch damals.
prisma: Nun haben Sie Ihre erste WM vor der Nase. Wer wird Weltmeister? Und wie weit kommt die deutsche Mannschaft?
Breyer: Ich glaube, dass die deutsche Mannschaft, je nachdem, wie viel Glück sie hat, sehr weit kommen wird. Das Glück wird auf diesem Niveau immer sträflich unterschätzt. Es spielt aber eine gewaltige Rolle. Jogi Löw weiß sehr genau, was er tut. Ich halte sehr viel von ihm. Sollte es Deutschland nicht ins Endspiel schaffen, hoffe ich, dass vielleicht mal ein Team Weltmeister wird, das man nicht so auf der Rechnung hatte. Ich wünsche mir, dass die WM nicht so sehr eine geschlossene Gesellschaft wird, wie es die Champions League meistens ist.
prisma: Wer steht also im Finale? Was ist Ihr Tipp?
Breyer: Am Ende vielleicht doch Deutschland gegen Frankreich. Ich halte die Franzosen für sehr, sehr stark. Sie haben sehr spannende junge Spieler. Wenn sie ins Rollen kommen, könnten die einen unwiderstehlichen Hurra-Fußball zelebrieren, dem man kaum etwas entgegensetzen kann.
prisma: Wen sehen Sie im erweiterten Favoritenkreis?
Breyer: Brasilien hat sich wieder deutlich aufgerichtet. Sie müssen nach dem schwachen Auftritt im eigenen Land vor vier Jahren viel wieder gutmachen. Auch die Spanier sind immer dafür gut, ins Finale zu kommen. Vielleicht sehen wir ja aber auch Panama oder Island im Halbfinale – wer weiß? Ich würde mir so etwas wünschen.
prisma: Haben Sie ihren WM-Partner Christoph Kramer schon kennengelernt?
Breyer: Ja. Ich kenne Christoph Kramer schon länger, weil wir uns in den vergangenen Jahren häufig über den Weg gelaufen sind. Er war zum Beispiel auch im '"aktuellen Sportstudio" mein Gast nach der Weltmeisterschaft 2014. Ich schätze ihn extrem als Gesprächspartner, weil er sehr unterhaltsam und zugleich sehr klug über Fußball reden kann. Ich freue mich schon auf die Moderationen mit ihm.
prisma: Vor und während der WM werden wir von Experten-Tipps überschüttet. Komischerweise haben sehr viele Experten immer wieder unrecht. Ist der Fußball letztlich doch nicht berechenbar?
Breyer: Wahrscheinlich ist es so wie mit den Börsenkursen. Da gab es mal ein Experiment, bei dem man die Tipps von Experten mit denen von Schimpansen verglich. Die Schimpansen lagen knapp vorn. Aber nein, im Ernst. Der Fußball ist schon etwas berechenbarer als die Börse. Aber es gibt eben viele Zuschauer, die kennen sich genauso gut aus wie Experten. Und weil der Faktor Glück, wie gesagt, immer wieder auch merkwürdige Ergebnisse zustande kommen lässt, liegen am Ende eben auch mal alle daneben.
prisma: Sie verfolgen die WM in Baden-Baden, fahren also nicht nach Russland. Wovor fürchten Sie sich bei diesem Turnier?
Breyer: Ich hoffe, dass es keine hässlichen Szenen im Sinne von Hooligan-Gewalt oder Rassismus gibt. Beides hat man in Russland schon erlebt.
prisma: Ist es nicht bedenklich, dass Sie aus Baden-Baden berichten? Es ist doch ein Unterschied, ob man als Journalist Turnieratmosphäre vor Ort schnuppert oder eben nicht?
Breyer: Ich hoffe, dass dieser Umstand nicht zu sehr durchschlägt. Man muss das Ganze etwas komplexer betrachten. Wenn man im Land ist, sitzt man als Moderator letztendlich doch den ganzen Tag im Studio. Und an jenen Tagen, an denen es nicht so ist, muss man sich vorbereiten – zum Beispiel die anderen Spiele gucken. Atmosphäre schnuppern ist also gar nicht so einfach. Es ist ja nicht so, dass man sich unters Volk mischt und ständig mit den Einheimischen spricht. Dafür fehlt in meinem Job leider die Zeit.
prisma: Also ist es heutzutage egal, ob man als Journalist das Geschehen vor Ort verfolgt oder vor einer Leinwand steht, die das, worum es geht, über Tausende Kilometer überträgt?
Breyer: Man muss betrachten, welchen Job der Journalist macht. Für unseren Job ist das vor Ort sein nicht essenziell, auch wenn es wünschenswert wäre. Wir kümmern uns um Fußballspiele, die von Dutzenden Kameras übertragen werden. Um Hintergrundberichte über Land und Leute oder auch investigative Sachen zu machen, ist das Vorortsein natürlich alternativlos. Ich gebe Ihnen trotzdem recht, dass auch uns ein paar Eindrücke fehlen. Denn auch kleine Begegnungen im Taxi, am Imbiss oder abends in der Kneipe geben Aufschlüsse. Sie sind wertvoll, um die Stimmung im Land mitzubekommen. Deshalb haben wir ja auch Reporter vor Ort.
prisma: Hätten Sie es sich denn gewünscht, nach Russland zu fahren?
Breyer: Klar, man ist als Journalist immer lieber vor Ort. Ich kann die Entscheidung für Baden-Baden jedoch nachvollziehen. ARD und ZDF sparen jeweils eine siebenstellige Summer für den Gebührenzahler ein. Das ist schon eine Hausnummer.
prisma: Worauf freuen Sie sich bei diesem Turnier?
Breyer: Auf guten Fußball. Ich glaube, dass wir in Russland besseren Fußball sehen als zuletzt in der Bundesliga. In Russland wird es viele Teams geben, die in ihrer taktischen Disziplin nicht so gedrillt sind, dass sich wie in der Bundesliga gegenseitig neutralisieren. Ich glaube auch, dass wir mehr Offensive sehen werden.
prisma: Macht fehlerhafter Fußball mehr Spaß?
Breyer: Mitunter, aber nicht immer. Der fehlerfreie Fußball, den Pep Guardiola mit Barcelona spielen ließ, war auch wunderschön anzusehen.
prisma: Auf welche Spieler freuen Sie sich?
Breyer: Auf jene, die ich jetzt noch nicht kenne. Klar sieht man auch gerne einen Neymar kicken. Bei einer WM finde ich jedoch Leute spannender, die man vorher gar nicht auf der Rechnung hatte. 2014 waren alle von James Rodriguez begeistert. Er kam aus dem Nichts und spielte mit Kolumbien begeisternden Fußball. Ich bin mir sicher, dass es auch 2018 wieder einen James geben wird – von dem zuvor kaum jemand gehört hat.
prisma: Es ist Ihr erstes großes Turnier, das Sie als Moderator begleiten. Haben Sie Respekt vor dem Stress?
Breyer: Ja, durchaus. Bei der EM vor zwei Jahren war ich noch Reporter in den Stadien. Über Wochen längere Sendestrecken aus dem Studio zu moderieren, ist neu für mich. Das ist auch die erste WM, zu der ich als Journalist reise. Von daher ist das sehr spannend für mich.
prisma: Sie sind sehr jung zum Sportmoderator im ZDF aufgestiegen. War das überraschend für Sie?
Breyer: Es war sehr überraschend. Vor allem, weil mich Leute vor die Kamera stellten und mir den Job zutrauten, bevor ich es selber getan hätte. Ich musste mich von diesen Menschen überzeugen lassen, dass ich es kann. Ich hatte durchaus Zweifel, ob ich dem gewachsen bin.
prisma: Worin bestanden Ihre Selbstzweifel?
Breyer: Darin, ob ich alt und erfahren genug bin. Vor der Kamera braucht man eine gewisse Souveränität, denn sie deckt Unsicherheiten gnadenlos auf. Natürlich machte ich mir Sorgen, ob mich meine Gesprächspartner ernst nehmen. Gerade sehr erfahrenen Trainer oder Funktionäre.
prisma: Sie sind heute 35 Jahre alt.
Breyer: Ja, mittlerweile fühle ich mich auch sehr wohl in meiner Haut und in meiner Rolle. Als ich anfing, war ich allerdings erst 28 oder 29 Jahre alt – und moderierte die Champions League. Dort dann neben einem Jürgen Klopp vor Millionen von Fernsehzuschauer zu stehen, ist nicht ganz ohne.
prisma: Hat jemand Sie mal wie ein Greenhorn behandelt?
Breyer: Komischerweise niemals als ZDF-Moderator vor der Kamera. Ich erinnere mich an eine Szene mit Frank Rost, als ich – noch ein paar Jahre jünger – mal für eine Zeitung nach einem Spiel gefragt habe, ob der Trainer in der Kabine laut geworden ist. Das brachte ihn total auf die Palme, und er sagte, ich solle mal ein paar Jahre älter werden, dann würde ich so eine Frage nicht mehr stellen. Eigentlich finde ich die Frage heute immer noch ganz gut. Vielleicht sehe ich ihn mal irgendwann – und wir können das klären.
prisma: Was machen Sie eigentlich nach der WM? Das ZDF verliert die Champions League Rechte. Sind Sie dann arbeitslos?
Breyer: Ich sitze dann auf meinem Balkon und lege die Beine hoch. Aber natürlich nicht auf Dauer. Ich arbeite ja für den Sport im "ZDF-Morgenmagazin", moderiere "Das aktuelle Sportstudio" und drehe auch noch Beiträge und Reportagen für den Sender. Trotzdem werde ich nach der WM und ohne Champion League tatsächlich mehr Zeit haben. Meine Familie freut sich schon darauf.
prisma: Haben Sie Angst, dass Ihr Leben ohne die Droge Fußball, wie das Geschäft von Insidern immer wieder beschrieben wird, langweiliger sein könnte?
Breyer: Nein, ich freue mich auf Dinge, für die ich dann endlich wieder mehr Zeit haben werde. Ich reise zum Beispiel sehr gerne, das ist wirklich eine Leidenschaft von mir. Ich sehe Fußball auch nicht als Droge. Er hat sicher etwas Rauschhaftes. Aber das kommt allein durch die starken Emotionen, die Fußball freisetzt. Ich finde allerdings nicht, dass man starke Gefühle mit Drogen gleichsetzen kann. An großen Gefühlen nah dran zu sein, ist ein starkes Erlebnis – und sicher nicht ungesund.
Quelle: teleschau – der Mediendienst