Warum "Ein Sommer in Vietnam" kein typisches Herzkino ist
Inez Bjørg David hat neun Wochen lang in Vietnam für den ZDF-Zweiteiler "Ein Sommer in Vietnam" (Sonntag, 16. und 23. September, 20.15 Uhr) gedreht und ist sich sehr bewusst, wie dankbar man in Europa für den bequemen Lebensstil sein muss. "Der Luxus, in dem wir hier in Europa leben, der entsteht auch auf Kosten der ärmeren Länder und deren arbeitender Bevölkerung", meint die Schauspielerin.
Die 36-jährige gebürtige Dänin befindet, dass es vielen wohl guttun würde, die Armut und die Produktionsbedingungen in fremden Ländern zu realisieren, um zu begreifen, wie gut man es in Europa hat. Das Sonntagabend-Drama widmet sich aber vor allem der Familie: Eine verlorene Zwillingsschwester und Adoption stehen im Fokus. Im Interview verrät Inez Bjørg David, warum es interessant war, ihre Kinder nach Vietnam mitzunehmen und welchen Herausforderungen sie sich bei dieser Doppelrolle stellen musste.
prisma: In "Ein Sommer in Vietnam" spielen Sie eine Doppelrolle. Wie war das für Sie?
Inez Bjørg David: Es war sehr interessant. Ich finde, Maske und Kostüm haben tolle Arbeit geleistet. Ich versuche immer, möglichst offen in eine Szene reinzugehen und spontan zu schauen, was mein Gegenüber macht und wie meine Figur darauf wohl reagiert. Wenn man eine Doppelrolle spielt, fällt das komplett weg, darin bestand für mich die größte Herausforderung. Ich musste plötzlich genau wissen: Wie verhält sich meine Figur gerade? Wohin schaut sie? Wie reagiert sie? Dazu konnte mein Double nur Englisch, das hat die Sache noch einmal komplizierter gemacht. Aber ich brauche solche Herausforderungen, sonst wird mir langweilig.
prisma: War die Drehzeit in Vietnam eine größere Herausforderung als ein Dreh in Deutschland?
Inez Bjørg David: Es war auf jeden Fall sehr spannend und anders als erwartet. Alleine die wundervolle Natur, die man auch im Film sieht, überwältigt einen. Ich war schon öfter in Asien, Indonesien, Indien und Thailand, aber Vietnam war eine andere Erfahrung, das hat mit ähnlichen Ländern nichts zu tun.
prisma: Warum?
Inez Bjørg David: Vietnamesen sind nicht so wie die Leute auf Bali beispielsweise, die dich alle anstrahlen. Trotzdem sind die Vietnamesen offen, wenn man sie anspricht und mit ihnen kommunizieren kann. Dann reden sie auch sehr lange mit einem. Aber man müsste eigentlich der Sprache mächtig sein, weil Englisch noch nicht sehr verbreitet ist. Vietnam ist nicht so leicht zu bereisen, und die Kommunikation ist schwierig.
prisma: Wie produktiv war die Arbeit mit den Einheimischen?
Inez Bjørg David: Am Set waren wir weit mehr als in Deutschland. Wir waren aufgeteilt in ein europäisches Team, ein thailändisches und ein vietnamesisches. In der ersten Woche mussten wir uns erst aneinander gewöhnen, denn es treffen ganz unterschiedliche Arbeitsweisen und Mentalitäten aufeinander. Wenn man einen Vietnamesen etwas fragt oder ihn um etwas bittet, dann sagt er immer ja, weil es seine Kultur so vorschreibt und es unhöflich wäre, nein zu sagen. Das muss man wissen und sich manchmal auch zur Geduld ermahnen. Doch nach einer Weile waren alle sehr offen und herzlich, egal, woher man kam.
prisma: Wie war es für Sie, neun Wochen lang nicht zu Hause zu sein?
Inez Bjørg David: Es ist immer hart, die Familie so lange nicht zu sehen. Zum Glück sind meine Kinder zeitweise nach Vietnam mitgereist, und ich fand es unglaublich spannend, das zu beobachten. Es war für sie die erste Fernreise, und sie waren erst mal ein wenig geschockt. Zum Beispiel, weil das Essen ganz anders schmeckt. Wir gehen auch in Berlin gern Vietnamesisch essen, aber das kann man nicht vergleichen. Jeder muss sich erst mal an ein fremdes Land gewöhnen, egal wie alt man ist. Entscheidend ist dann nur, ob einem das Spaß macht oder stresst.
prisma: Haben Sie selbst denn schon mal über das Auswandern in ein nicht europäisches Land nachgedacht?
Inez Bjørg David: Ja, immer wieder. Auch in Vietnam dachte ich mir, so ein halbes Jahr dort wäre schön. Aber man muss realistisch bleiben, und mit Kindern ist es nicht so einfach.
prisma: Denken Sie, man kann es als Europäer mit seinem Gewissen vereinbaren, in ein armes Land zu reisen und dort im Luxus zu schwelgen?
Inez Bjørg David: Mal ehrlich, das machen wir doch die ganze Zeit. Der Luxus, in dem wir hier in Europa leben, der entsteht doch auch auf Kosten der ärmeren Länder und deren arbeitender Bevölkerung. Danebenstehen und direkt zusehen, wie Menschen für uns für einen Hungerlohn schuften, das können wiederum viele nicht. Auch wenn der Vergleich hart klingt, es ist ein bisschen wie ein Tier schlachten: Viele essen gerne Fleisch, aber könnten selbst das Tier nicht umbringen. Wenn man es aber aktiv nicht sieht, verdrängt man oft, dass es geschieht. Wenn ich unsere ganzen Luxusgüter wie Klamotten oder Elektronik kaufe, bin ich doch trotzdem direkt daran schuld, dass jemand all das für einen Hungerlohn herstellt. Auch wenn ich es in Deutschland nicht sehe.
prisma: Das heißt Sie leben bewusst und fair?
Inez Bjørg David: Ja. Ich versuche so einzukaufen, dass die Produkte fair sind und ich sichergehen kann, dass zumindest kein Mensch bei der Produktion gestorben ist. Es ist eines meiner Steckenpferde, und auch deswegen bin ich Botschafterin des World Future Council.
prisma: Wie können wir denn das Verständnis für fair gehandelte Produkte erhöhen?
Inez Bjørg David: Ich glaube, es wäre manchmal ganz gut, wenn die Leute viel näher dran wären an der Produktion der Sachen und den armen Menschen, die sie herstellen. Wenn man sieht, wie etwas produziert wird, was die Menschen dafür verdienen und wie sie leben, dann würde das Problem wirklich in die Köpfe der Leute gelangen. Man weiß den Überfluss, in dem wir Europäer leben dürfen, eher zu schätzen und begreift, auf wessen Kosten dieser Luxus entsteht.
prisma: "Ein Sommer in Vietnam" widmet sich nicht nur dem fremden Land, sondern auch dem Thema Adoption. Haben Sie sich damit auseinandergesetzt?
Inez Bjørg David: Ich kenne einige Leute, die adoptieren wollen. Aber in Deutschland ist das überhaupt nicht einfach. Wir greifen im Film aber auch die Thematik auf, dass damals im Osten Deutschlands nicht regimetreuen Familien ihre Neugeborenen weggenommen wurden. Und wenn man dann denkt, so etwas gibt es nicht mehr, muss man nur nach Amerika schauen, wo Trumps Regierung Mütter und Kinder an den Grenzen trennt.
prisma: In Deutschland ist Adoption durchaus schwierig. Treibt man die Leute so dazu, in anderen Ländern zu adoptieren und vielleicht die Augen vor den Umständen zu verschließen?
Inez Bjørg David: Ja, das kann ich mir vorstellen. Es gibt Länder, in denen viel mehr Kinder abgegeben werden als in Deutschland. In vielen Ländern ist es ein soziales Stigma, wenn eine unverheiratete Frau ein Kind bekommt. Wenn nun ein Paar in Deutschland, sei es zum Beispiel wegen ihres Alters, nicht mehr adoptieren darf, finde ich den Gedanken plausibel, zu sagen: "Warum nicht ein Kind aus einem anderen Land adoptieren und ihm helfen?" So gewinnen zwei Parteien.
prisma: Und wie umgeht man Kinderhandel?
Inez Bjørg David: Es gibt in manchen Ländern Babyfarmen, denn alles, womit man Geld machen kann, wird auch missbraucht. Die Adoptierenden wissen oft gar nicht, dass das Kind geklaut ist oder gar nicht zur Adoption freigegeben werden sollte. Oder, dass sie jungen Frauen wie Bruthühner auf einer solchen Babyfarm leben und pro Kind bezahlt werden. Wie sollten die Menschen das auch rauskriegen? Die Regierung und die Politik müssten dafür sorgen, dass so etwas gar nicht mehr machbar ist. Das kann der Einzelne nicht.
prisma: Alles in allem ungewöhnliche ernste Gesprächsthemen für einen Film, der auf dem romantischen "Herzkino"-Sendeplatz läuft ...
Inez Bjørg David: Ja. "Ein Sommer in Vietnam" ist etwas spannender und ernster angelegt, als die meisten Sonntagabend-Filme. Trotzdem muss ich sagen: Ich habe es schon bei "Sturm der Liebe" erlebt, dass man oft überrascht ist, was für Menschen auf einen zukommen und sagen, sie hätten den Film oder die Serie gesehen. Das sind nicht nur die über 50-jährigen Hausfrauen.
Quelle: teleschau – der Mediendienst