Harte Ohrfeigen und heuchlerisches Mitleid im Erziehungsheim
Die Unterdrückung und Gewalt, die der "Film" Freistatt zeigt, waren eigentlich nur im Nationalsozialismus vorstellbar. Doch die Handlung spielt in den 60-er Jahren und orientiert sich an authentischen Aufzeichnungen.
In ihrem Drillich und mit den Arbeitsmützen wirken sie wie die Gefangenen eines Konzentrationslagers in der NS-Zeit. "Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten hinaus ins Moor", singen sie, wenn sie hinausgehen, um in der niedersächsischen Einöde Torf zu stechen. Doch der nun auf ARTE wiederholte Kinofilm "Freistatt", nach dem Ort des Geschehens benannt, spielt keineswegs in der NS-Zeit, sondern in der Bundesrepublik der späten 60er-Jahre.
Der 14-jährige Wolfgang (Louis Hofmann, "Dark") wird von seinen Eltern, insbesondere vom Stiefvater, in ein evangelisches Erziehungsheim geschickt und sieht sich dort schlimmster Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt. Aber die Unterdrückung ruft in ihm auch immer wieder Rebellion hervor.
Regisseur Marc Brummund kennt mit dem Zuschauer keine Gnade. Der muss das schon aushalten – die harten Ohrfeigen und die Prügel, aber auch das heuchlerische Mitleid und die Psychotricks der Vorgesetzten, die sich in diesem Falle "Brüder" und "Oberbrüder" nennen. Die Körperlichkeit des Films geht unter die Haut.
Dabei wagen sich Regie (Marc Brummund) und Drehbuch (Nicole Armbruster) aber auch weit in tiefenpsychologische Sphären vor. Man spürt, dass der Film ein authentisches Vorbild hat und dass Wolfgangs Geschichte genau so tausendfach in kirchlich organisierten Heimen passiert sein dürfte. Erst spät, nach der Jahrtausendwende, drang das Unglück hinter den Mauern dieser Erziehungsheime ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die Betreiber zeigten Reue und wirkten sogar mit am Film. Für eine Umkehr ist es sicher nie zu spät.
Quelle: teleschau – der Mediendienst