ProSieben-Reportage

"Deutsche an der ISIS-Front": Dieser Film lässt einen sprachlos zurück

von Maximilian Haase

Vor versammelter Presse stellte ProSieben die atemberaubende Reportage "Deutsche an der ISIS-Front" vor. Filmemacher und Experten versuchten zu erklären, warum Menschen freiwillig für oder gegen den IS in den Kampf ziehen.

Sprachlosigkeit, gebannte Konzentration und am Ende sogar ein paar Tränen: So fassungslos zeigt sich die versammelte Presse bei der Vorstellung eines neuen Fernsehformats eher selten. ProSieben schaffte am Donnerstagabend in einem Kino am Berliner Ku'damm genau das. Geladen hatte der Sender zur Premiere der atemberaubenden Reportage "Deutsche an der ISIS-Front", für die sich Reporter Thilo Mischke und sein Team mitten ins Konfliktgebiet in Syrien und im Irak wagten. Eine Reise, die dem anwesenden Filmemacher sichtlich nahe ging. Im Gespräch berichtet er von der Begegnung mit jenen Männern mit deutschem Pass, die sich freiwillig in den Kampf gegen oder für den so genannten Islamischen Staat begeben – aber auch von der allseits präsenten Angst inmitten des zerstörten Kriegsgebietes und dem erschreckenden Anblick der Kinder, die als unschuldige Opfer oft zurückbleiben.

Es ist ein bedrückender, spannender und hochinformativer Film, den die ProSieben-Reporter unter Einsatz ihrer Unversehrtheit geschaffen haben. Man habe damit jegliche Kriterien von Unterhaltung und Leichtigkeit, die einst für Formate des Senders galten, nicht erfüllt, scherzt Thilo Mischke bei der Premiere. Auch für ProSieben ein Experiment, wie der stellvertretende Senderchef Christoph Körfer bestätigt. Man wolle mit dem wichtigen Thema aber möglichst viele, gerade junge Leute erreichen: "Das müssen wir in der Primetime zeigen." Ausgestrahlt wird die Reportage, in der die Zuschauer einen hautnah gefilmten und subjektiv begleiteten Einblick in einen unwirklichen Konflikt in einer unwirtlichen Gegend erhalten, am Dienstag, 26. November, um 20.15 Uhr.

Im Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Irak, wo der Islamische Staat nach eigenen Angaben auf seinem Höhepunkt 2015 ein Kalifat ausrufen konnte, machte Mischke sich auf die für die Journalisten nicht ungefährliche Suche. Er wollte wissen, was aus den freiwilligen Kämpfern geworden ist, nun, nachdem der IS zumindest militärisch als besiegt gilt. Nach Angaben der deutschen Sicherheitsbehörden hatten sich seit 2013 mehr als 1.050 Personen in die Kriegsgebiete in Syrien und im Irak aufgemacht. Ihr Ziel waren Dschihadisten-Milizen, denen sie sich anschlossen.

Einige der Freiwilligen leben nicht mehr. In der Fremde zurückgeblieben jedoch sind ihre Frauen. Oft leben sie in IS-Camps, in denen Gewalt und Chaos herrschen und zu denen ein kurdischer Begleiter im Film meint: "Wenn du die Leute in dieser Situation lässt, dann werden sie ein noch stärkerer Islamischer Staat." Im berüchtigten syrischen Flüchtlingslager Al-Hol, in dem 65.000 Frauen und Kinder IS-Angehöriger leben, spricht Mischke auch mit jungen deutschen Frauen, die einst mit IS-Terroristen zusammenlebten. "Ich habe nichts verbrochen – außer mich einer Terrororganisation anzuschließen", sagt eine der mit Burka bekleideten Deutschen. Eine andere: "Ich verstehe es, wenn man sagt, man soll diese Leute hierlassen" – doch auch sie seien Menschen, auch sie hätten Angst. Über ihre Schuld oder Beteiligung an Gräueltaten ist vielfach noch nicht entschieden, man solle sie nicht verurteilen, so Mischke. Sie seien es, die in die deutsche Gesellschaft zurückgeholt werden könnten.

Dieser Meinung ist auch Islamismus-Expertin Claudia Dantschke, die als Leiterin der Deradikalisierungs-Beratungsstelle HAYAT Familien von IS-Angehörigen betreut. Sie sagt bei der Premiere in Berlin: "Die IS-Ideologie ist nach wie vor da", auch in Deutschland gebe es eine Szene, die mögliche Zurückkehrende im schlimmsten Fall wieder auffangen könnte. Die Suche nach Akzeptanz und einer Ersatzfamilie habe viele junge Menschen schließlich zum IS geführt. Dantschke ist es auch, die mit der Familie von Martin Lemke in Kontakt steht, jenem Mann, der vom Magdeburger Schweißer zum IS-Kämpfer wurde und sich mehrere minderjährige Frauen und Sklavinnen gehalten haben soll. Heute sitzt er in Haft. Mischke gelang es, ihn im Film zu interviewen. Er bestreitet viele der Vorwürfe: "Es ist lächerlich, was über mich berichtet wurde. Nicht alles, aber vieles."

Ganz anders Martin K. aus Bielefeld, den Mischke in einem großen Teil seiner Reportage begleitet. Er hat sich einem syrisch-kurdischen Militärbündnis angeschlossen, um gegen den IS zu kämpfen. "Ich habe geheult vor Wut", berichtet er von seinen Gefühlen, als er das erste Mal von den IS-Verbrechen erfahren habe. Sechs Tage lang blieb Mischke für seinen Film im Lager der YPG-Einheit des 23-Jährigen und erlebt dabei auch einen angsteinflössenden Einsatz gegen eine Gruppe IS-Kämpfer. Daran, Freunde im Kampf zu verlieren, habe er sich bereits gewöhnt, so K., der zuvor keine persönliche Beziehung zur Region hatte: "Man lernt, damit umzugehen". Wie die anderen, höchst unterschiedlichen Freiwilligen der internationalen Truppen sieht er sich in einem Kampf für weltweite Gerechtigkeit. Der spanische Kommandant seiner Einheit sagt: "Der IS ist der Feind der Menschheit".

"Eine Welt mit ganz eigenen Regeln", beschreibt Reporter Thilo Mischke seine Eindrücke: Die Angst sei ständiger Begleiter gewesen. Ein wichtiger Begleiter, da man sonst unvorsichtig werde. Es sind Erlebnisse, die für den Journalisten bleiben: "Man kann es nicht ablegen." Noch immer seien sie in Kontakt mit ihren Protagonisten, so Mischke und Producerin Anja Buwert, die während der Veranstaltung in Berlin eine SMS von Martin K. erhält: Sie würden in diesem Moment bombardiert. So scheint der 3.000 Kilometer entfernte Kampf gegen den IS plötzlich ganz nah, mitten auf dem Ku'damm in Berlin.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte dich auch interessieren