Markus Babbel war Europameister, Deutscher Meister, Europapokalsieger, hat aber auch persönliche Schicksalsschläge und Niederlagen verkraften müssen. In seiner Autobiografie „It’s Not Only Football“ zieht er sehr unterhaltsam Bilanz und gibt Einblicke in seine Karriere und sein Leben.
Servus Herr Babbel, wo erwische ich Sie gerade?
Markus Babbel: Zu Hause, in Viernheim bei Mannheim, da hat es mich jetzt hin verschlagen. Meine Frau ist Viernheimerin, und ich kannte die Ecke ja gar nicht, aber ich bin total begeistert. Hier ist die Welt noch in Ordnung, es macht Spaß, hier zu leben. Es gibt hier noch Leute, die „Grüß Gott“ und „Auf Wiederschaun“ sagen und „bitte“ und „danke“ (lacht).
Neben Ihrer jetzt neuen Funktion als Buchautor treten Sie momentan vor allem als TV- und Print-Experte in Erscheinung. Ist das etwas, von dem Sie sagen: Das passt jetzt perfekt zu mir?
Markus Babbel: Absolut, es war ja auch eine bewusste Entscheidung. Vorher war ich 16 Jahre lang unterwegs. Unsere gemeinsame Tochter ist jetzt sieben Jahre alt, wurde letztes Jahr eingeschult, und da macht man sich seine Gedanken. Wenn ich Trainer wäre, würde es auf eine Fernbeziehung hinauslaufen, und darauf hatten meine Frau und ich keine Lust. Doch was gibt es dann für einen Plan B? Da ist dann diese Idee als Experte in mir gewachsen: Das macht mir Spaß, auch weil ich glaube, dass ich schon noch einige Sachen ganz gut erkennen und sehen kann. Wichtig war mir aber – und das habe ich auch gesagt: Wenn ich es mache, dann sage ich auch das, was ich sehe. Ich bin jetzt nicht derjenige, der nur gnädig ist, weil es beispielsweise der FC Bayern, der VfB Stuttgart oder Hoffenheim ist. Wenn es gut war, dann war es gut, aber ich muss auch sagen können, wenn es eben nicht gut war. Das hat mich bei vielen Experten immer schon gestört, die dann so einen diplomatischen Kram von sich geben. Das mache ich nicht.
Diese Einstellung ist auch in Ihrem jetzt erschienenen Buch „It’s Not Only Football“ zu erkennen, denn da nehmen Sie ja auch kein Blatt vor den Mund.
Markus Babbel: Erst einmal war ich total überrascht, dass da jemand ein Buch über mich schreiben möchte: Ein renommierter Verlag tritt an mich heran und fragt mich. Da habe ich auch direkt gesagt, das mache ich dann nur so wie ich bin und erzähle nicht nur, wie toll und wie geil ich bin, das interessiert ja keinen. Wenn, dann muss ich schon meine Geschichte erzählen mit allen Höhen und Tiefen, aus meiner Sicht. Schonungslos, wie es eben war. Und dieses Leben war eben auch nicht nur Fußball, da erklärt sich dann auch der Titel.
Sie haben das Buch mit Alex Raack geschrieben, einem bekannten Sportjournalisten. Wie war die Zusammenarbeit da? Sie haben in Ihrer Karriere unheimlich viel erlebt, haben Sie früher Tagebuch geführt oder kamen die vielen Erinnerungen im Gespräch wieder hoch?
Markus Babbel: Alex habe ich durch Zufall kennengelernt, er hat mit Mario Basler auch ein Buch herausgebracht. Irgendwann saßen wir mal zusammen, und dann ging es um alte Stories – und da sagte der Alex: „Der Wahnsinn, du hast ja Geschichten parat, die müssen wir unbedingt aufschreiben.“ Darauf sagte mein Manager: „Ja das sag ich schon die ganze Zeit.“ Für mich war das ja immer unvorstellbar. Wer will denn meine Geschichte lesen? Aber je länger die mit mir gesprochen haben, desto interessanter wurde die Idee. Aber wie gesagt, zu meinen Bedingungen, so wie ich es empfunden habe.
Wie war dann der Arbeitsprozess?
Markus Babbel: Dann trifft man sich, lotet erst einmal die Eckdaten aus. Das Schöne an Alex ist ja, dass er ist wahnsinnig fußballaffin ist und sich auskennt. Er ist ein sehr guter Rechercheur. Viele Dinge hast du nicht mehr im Kopf. Aber er hat Sachen wieder angestoßen, und da sagte ich: „genau“, und dann ging es wieder los. Das Faszinierende für mich war der Prozess hinter dem Buch: Ich wurde 50, die erste Halbzeit des Lebens ist vorbei, ich bin glücklicherweise noch nicht ausgewechselt worden bisher, konnte durchspielen, und das ist auch für mich noch einmal eine Verarbeitung meines Lebens. Das hat mir auch geholfen, gewisse Dinge einfach noch einmal besser zu verarbeiten. Gerade bei den Trauerfällen, wie speziell beim Suizid meines Bruders. Da war viel nicht aufgearbeitet, und ich musste mich mit vielen Dingen, auch schmerzhaften, auseinandersetzen. Es steht ja auch im Buch, ich bin eigentlich ein Meister des Runterschluckens.
Sie benutzen im Buch auch wiederholt das Bild des Tresors, in dem Sie Ihre Emotionen verschlossen haben und den Schlüssel dann ganz weit weggeschmissen haben.
Markus Babbel: Ja und den habe ich wiedergefunden und musste den Tresor wieder aufmachen. Es tat mir aber auch gut, darüber bis ins kleinste Detail zu sprechen. Alex ist jemand, der immer nachfragt. Ich hatte das aber auch vorher lange mit meiner Mutter besprochen, ob das ok für sie ist. Meine Mutter ist mein Fels, mein Heiligtum. Ich möchte sie nicht verletzen.
Sie öffnen sich sehr im Buch, ist der Eindruck richtig?
Markus Babbel: Absolut, das war aber auch so gewollt. Für alles andere bin ich nicht zu haben, von wegen, dass dann alles super war. Da gibt es schon 1000 Bücher, wie toll doch alle waren. Das wollte ich eben nicht. Ich wollte die zwei Seiten der Branche, aber auch die meines Lebens aufzeigen. Da war eben nicht alles immer nur Eitel-Sonnenschein. Nein, da waren auch extreme Tiefen dabei. Trotzdem, wenn man mit der richtigen Einstellung an die Sache herangeht, und das ist mein Naturell, muss es danach nicht schlechter weitergehen.
Also war das Verfassen des Buches auch eine Art Katharsis für Sie, eine Selbstreinigung?
Markus Babbel: Ich bin nicht der Typ, der privat sehr oft über seine Probleme spricht. Die Arbeit an dem Buch war dann sehr reinigend für mich. Obwohl ich schon ein Mensch bin, zumindest sagen das viele über mich, der sehr in sich ruht. Trotzdem habe ich den Tresor da drinnen und den habe ich aufgemacht. Und das war für mich noch einmal eine tolle Befreiung und gute Verarbeitung der Geschichten, die lange Zeit nicht aufgearbeitet wurden. Da hat mir das Buch extrem geholfen, was ich vorher nicht erwartet hätte.
Ist es denn als Sportler wirklich so, dass man da eine Verdrängungstaktik braucht, um weiterzukommen?
Markus Babbel: Ich persönlich habe davon profitiert, dass ich das immer wegpacken und sofort mit dem nächsten weitermachen konnte. Aber das ist individuell sehr unterschiedlich. Viele Spieler haben schon Probleme, und da gibt es mittlerweile ja auch Hilfen. Früher gab es das so nicht, und wenn es das gegeben hätte, hätte es niemand in Anspruch genommen. Das war einfach noch nicht so. Gott sei Dank ist das heute anders, und ich würde es auch in Anspruch nehmen, wenn ich noch Spieler wäre.
In diesem Zusammenhang passt natürlich Ihre Zeit in Liverpool. Die Handlung dort liest sich ja fast schon wie eine klassische Tragödie: Sie gewinnen dieses unglaubliche Europacup-Finale 2001 gegen Deportivo Alaves in Dortmund, schießen dort auch noch ein Tor, dann kommt die Diagnose GBS, Sie sitzen kurzzeitig sogar im Rollstuhl und sind nach einem Jahr wieder da, überwerfen sich dann aber mir Ihrem Trainer. Diese Gefühlsachterbahn muss man erst einmal verarbeiten. Fühlten Sie sich da auch manchmal allein gelassen?
Markus Babbel: Im Prinzip ja, aber es konnte mir auch keiner helfen, weil das ja keiner kannte. Es war keine Verletzung, bei der man dann vielleicht neun Monate braucht und dann aber wieder zurückkehrt. Da mache ich dem Trainer auch keinen Vorwurf, denn woher sollte er das wissen? Die Krankheit kannte kaum jemand. Ich hätte damals schon psychologische Hilfe gebraucht, aber ich habe danach auch gar nicht gesucht, denn meine Denke war zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit. Ich war sehr eitel.
Sie waren aber damals ein Mann in der Blüte seines Lebens, und dann kommt so eine Diagnose. Es ist ja erklärbar, warum Sie so gehandelt haben. Man wird trotzig, versteht es nicht.
Markus Babbel: Ja, das charakterisiert es gut, man wird wie ein kleines Kind, möchte es nicht akzeptieren. Alles läuft gegen mich. Im Nachhinein denke ich: Na ja, zumindest konnte ich ein Jahr bei Liverpool erleben. Das war das schönste Jahr meiner Karriere. Ok, schade, wenn es vielleicht ein paar Jahre später passiert wäre, dann hätte ich dort vielleicht drei Jahre gehabt. So kann ich aber zumindest ein Jahr Liverpool mit den tollen Erfolgen vorweisen.
Ein paar Jahre länger, und Sie wären dann vielleicht 2005 auch bei dem Champions-League-Finale 2005 mit dabei gewesen, das Liverpool dann sensationell nach einem 0:3-Rückstand gegen den AC Mailand noch gewinnt, wie Sie es auch im Buch schreiben.
Markus Babbel (lacht): Ja, normalerweise wäre ich dabei gewesen. Obwohl, dann hätten sie es bestimmt nicht gewonnen, denn ich war ja sowas wie der schwarze Rabe. Egal, wo ich war oder wo ich hingegangen bin, die haben es immer erst geschafft, wenn ich dann nicht mehr da war.
Ja, wie das Finale der Bayern mit Ihnen in Barcelona gegen Manchester United 1999, und 2001 gewinnen die Bayern dann gegen den FC Valencia.
Markus Babbel: Aber ich möchte mich nicht beschweren, ich habe ja einiges erlebt. Das Schöne ist ja, wenn man das alles erzählt, denkt man: Ich dachte ja, mein Leben wäre langweilig, aber so langweilig war es ja gar nicht (lacht). Es ist einiges passiert in diesen 50 Jahren, das ist schon cool. Das macht einen schon stolz, dass man ein Talent hat und so sein Hobby zum Beruf machen kann. Und es waren ja erfolgreiche Jahre.
Vor allem haben Sie ja beide Zeiten erlebt, einmal die klassischen in den 90ern und dann auch die modernen Zeiten nach dieser Zäsur 2000. Das ist extrem spannend.
Markus Babbel: Ich werde oft gefragt, ob ich nicht tauschen wollte, mit dem ganzen Geld, das heute verdient werden kann. Auf keinen Fall, für kein Geld der Welt. Wir hatten die schönste Zeit. Wir haben auch gutes Geld verdient, es gab keine Handys, es gab kein Social Media. Wir waren noch real, konnten tun und machen, was wir wollten. Es kam nichts raus. Dadurch hatten wir eine extrem hohe Lebensqualität, wussten aber auch, was wir machen konnten. Wir waren nicht so dämlich, zu denken, in der englischen Woche gehen wir jetzt noch schön feiern. Aber wenn es ging, haben wir schon schön Gas gegeben. Und das können die Jungs heute einfach nicht mehr.
Sie sind ja, das haben wir schon thematisiert, sehr ehrlich in Ihrem Buch und schreiben auch sehr ehrlich, wen Sie da leiden können und wen nicht. Erwarten Sie da irgendwelche Reaktionen oder ist Ihnen das eigentlich auch egal?
Markus Babbel: Das ist mir relativ egal. Ich kann es ja auch nur so berichten, wie ich es empfunden habe. Ich bin auch nur ein Mensch und ich mag keine Ungerechtigkeiten. Ich kann es einfach nicht leiden, wenn man unehrlich ist und mich anlügt. Dann schwillt mir eben der Kamm. Oder wenn jemand aufgrund seiner Position einen Kleinen niedermacht, das hasse ich. Und dementsprechend sag ich das einfach. Das liegt ja nicht an mir, das war halt so. Ich erzähle ja nur, was wirklich stattgefunden hat. Ich erfinde nichts oder versuche, jemanden schlecht zu machen. Das liegt mir völlig fern. Das sind alles Sachen, die wirklich so passiert sind.
Ihre Trainerlaufbahn ist nun seit 2020 nach Ihrem Aufenthalt in Sydney beendet. Ihr Freund Campino schreibt dazu in seinem Vorwort für Ihr Buch, Sie wären so ein Fachmann und er wünsche sich, dass Sie nochmal auf der Trainerbank Platz nehmen würden. Gibt es da noch einmal eine Chance?
Markus Babbel: Im Fußball würde ich niemals irgendetwas kategorisch ausschließen. Ich bin aber nicht blauäugig, und ich merke ja, was in der Bundesliga und im deutschen Fußball abläuft. Diese Trainertypen sind nicht unbedingt gesucht. Weil ja unheimlich viele Menschen in den Fußballvereinen tätig sind, die keine Ahnung von der Materie haben. Wenn da ein Trainer kommt, und der haut dir eine Power-Point-Präsentation an die Wand, sind alle völlig hin und weg. Viele sehen den Fußball ja mittlerweile wie ein Wirtschaftsunternehmen.
Ich fand es sehr sympathisch, dass Sie sich bei der Prüfung für den Trainerschein geweigert haben, einen Computer zu benutzen.
Markus Babbel: Ich stehe nun einmal auf Kriegsfuß mit dem Teil, und ich wusste da schon, dass ich es auch später nicht benutzen werde. Dafür habe ich dann meine Leute, die das machen. Da werde ich jetzt auch die Prüfung nicht mit dem Ding machen. Es kann ja nicht sein, dass man nur aufgrund dieses Kriteriums den Schein dann bekommt oder nicht bekommt.
Bei Ihren witzigen Ausführungen über die Zeit in der Nationalmannschaft unter Erich Ribbeck und Uli Stielike musste ich auch ein wenig an das Bild des Teams denken, das sich einem bei der letzten WM in Katar und auch danach noch geboten hat. Haben Sie die Amazon-Doku „All Or Nothing“ gesehen? Das ist ja unglaublich, wenn man sich das anschaut. Da fragt man sich ja, wie Hansi Flick mit den Bayern so erfolgreich sein konnte.
Markus Babbel: Ich habe die nicht gesehen und ich möchte das eigentlich auch nicht bewerten, ob der da jetzt mit den Gänsen rumfliegt oder nicht. Es darf nur einfach nicht rauskommen. Wenn ich Bundestrainer wäre, dann gäbe es nur einen Satz: Ihr könnt das mit dem Film gerne machen, dann bin ich aber weg. Ich gebe doch da nicht mein Knowhow preis. Ich geh doch nicht in eine Weltmeisterschaft, wo es auf Details ankommt, und diese Details kommen dann raus. Das geht nicht.
Ich finde es erstaunlich, dass der DFB die Serie freigegeben hat.
Markus Babbel: Das ist der Oberwahnsinn, dass ich dann als DFB-Präsident, Sportdirektor oder Bundestrainer nicht mehr drüber schauen darf. Man muss sich ja selbst auch ein Stück weit schützen. Da kann ich die Kritik im Nachhinein auch verstehen, denn das ist ja ein Amateurverhalten hoch zehn.
Kommen wir zu etwas Schönerem, kommen wir zu Ihrem EM-Titel 1996, sicherlich das Highlight Ihrer Karriere. Diese Mannschaft war ja etwas ganz Besonderes, gibt es da immer noch Kontakte?
Markus Babbel: Nein, ich habe genau noch mit Jens Jeremies regelmäßig Kontakt, ab und zu noch mit Didi Hamann und Christian Nerlinger – und das war‘s. Jeder hat sein eigenes Leben, seine Familie, seinen eigenen Freundeskreis. Wenn man sich aber trifft, so wie ich gestern Thomas Helmer, Thomas Strunz, Horst Heldt und Mario Basler, weil wir bei einer Veranstaltung waren, ist es immer sehr schön. Da gibt es immer was zu lachen, man genießt die Zeit zusammen, aber wenn es dann vorbei ist, fahre ich eben heim und bin wieder in meinem Leben.
Also ist das eher so wie ein Klassentreffen, wie ein Abi-Treffen?
Markus Babbel: Ja genau. Wir hatten unseren 25. Jahrestag des Titelgewinns. Da trifft man sich, lacht gemeinsam, tauscht alte Geschichten aus, erzählt Anekdoten, aber es ist eben nicht so, dass man sich da jetzt wöchentlich sieht oder telefoniert. Jeder ist eben eingespannt, hat viel zu tun. Wichtig ist aber, dass man, wenn man sich sieht, eine gute Zeit hat. Und die haben wir immer.
Sie sind eng mit Campino befreundet, der ja Liverpool-Fan ist. Es heißt von Ihnen, Sie wären auch gerne Rockmusiker geworden. Wie ist da der Stand der Dinge? Kommt da noch was?
Markus Babbel: Nein (lacht), aber auf meinem Instagram-Kanal beschäftige ich mich schon mit Musik. Da mach ich jede Woche einen Music Friday. Da stell ich immer ein Lied vor, das ist aus reinem Zufall entstanden. Denn wenn mir mal jemand erzählt hätte, ich bin jetzt auf Social Media unterwegs, hätte ich gesagt, du bist total gestört, mach ich nicht. Wir haben halt Spaß und sind mittlerweile eine kleine Community, die Musikneuvorstellungen kommentiert. Mittlerweile haben sich sogar schon Bands bei mir gemeldet, ob ich sie nicht mal spielen könnte. Das hat damals in Australien angefangen, während Corona. Da haben wir uns über Instagram gegenseitig die Songs vorgespielt. Was wir nicht bedacht haben, dass wir das ja weltweit raushauen.