Horch, was kommt von draußen rein! Wer in deutschen Großstädten zum Essen ausgeht, findet die Welt. Hier Thailand, dort Italien, hier Döner, dort Ćevapčići. Laos liegt gleich um die Ecke, Indien und China sowieso.
Wer immer als Gastarbeiter, Wirtschaftsflüchtling oder Asylant nach Deutschland kam, scheint alsbald einen Imbiss oder Größeres gegründet und die gute alte deutsche Küche vom Tisch gefegt zu haben. Plötzlich diese Vielfalt! Wenn Liebe durch den Magen geht, ist Deutschland ganz schön verknallt in seine Multikultur. Wie aber konnte es dazu kommen? Und stimmt das überhaupt? Der Volkskundler Marin Trenk aus Frankfurt am Main hat "la deutsche Vita" unter die Lupe genommen und ein Buch dazu geschrieben ("Döner Hawaii").
Sein Fazit: Ja, die Essgewohnheiten der Deutschen haben sich in den vergangenen 50 Jahren revolutioniert. Aber der Einfluss heimischer Traditionen auf das, was von draußen kam, bleibt auf indirekte Weise größer als vermutet. Und, drittens, ganz ohne US-Hilfe kam Deutschland (West) auch beim Essen nicht in die Pötte.
Mehr als "süßsauer"
Ohnehin nimmt sich das neudeutsche Weltgenießertum mitunter etwas kenntnisarm aus. So schwärmt ein junger Mann vor
seiner thailändischen Flamme: "Ich liebe die asiatische Küche!" Fragt sie: "Aha, was denn besonders?" Er: "Die Nr. 49."
Das bringt ihn in die Gesellschaft von Altkanzler Helmut Kohl, der nicht nur dem Pfälzer Saumagen zugetan war, sondern auch allem, was in China-Restaurants als "süßsauer" verkauft wird.
Anlässlich eines Staatsbesuchs in China war Kohl erst recht auf "süßsauer" erpicht, doch alle Diplomatie vermochte es nicht, den Wunsch des Gastes der Küche zu vermitteln. Kein "süßsauer" in China.
Tatsächlich sind Gerichte, bei denen süß und sauer im Wettstreit liegen, eher eine alte deutsche Spezialität, man denke an den rheinischen Sauerbraten. Was hierzulande unter dem Etikett "China" angeboten wird, ist perfekt auf deutschen Geschmack ausgerichtet.
Noch geschmeidiger in ihren Anpassungsfähigkeiten sind die Italiener. Die Pizza, heute ein Grundnahrungsmittel, kam in ihren deutschen Anfängen als "Pizza Plockwurst" daher. Die "Carbonara" wurde mit dem belegt, was hiesige Metzgereien hergaben, und das "Jaegersnitzel" blieb vorsichtshalber auch in Pizzerien erhältlich. Da der Kolonialwarenladen
der frühen Gastarbeiterjahre garantiert weder frischen Oregano noch Thymian, Rosmarin oder Basilikum führte, heuerten
die meist selbsternannten Pizzabäcker ("Ich wusste überhaupt nichts über Pizza") ihre Verwandtschaft in Apulien für transalpine Kurierdienste an.
Es dauerte eine Weile, ehe Pizza und Pasta statt Kraut und Kartoffeln den deutschen Familientisch beherrschten. Und es dauerte noch einmal Jahrzehnte, bis Auberginen, Zucchini, Broccoli und Artischocken dazustießen und zum Nonplusultra
gesunder mediterraner Ernährung wurden.
Am 24. März 1952 hatte ein Nicolo di Camillo gemeinsam mit seiner deutschen Braut Janina in der Elefantengasse in Würzburg das "Sabbie di Capri" eröffnet, das erste Lokal auf deutschem Boden, in dem Pizza serviert wurde. Gäste waren vornehmlich US-Soldaten, denen Pizza- und Pastagerichte aus Amerika seit Langem bekannt waren.
Vom Eisbein-Vertilger zum Lasagneschlürfer
Die Besatzungssoldaten luden gern deutsche Frolleins ins Capri-Lokal ein, und so nahm eine grundstürzende Umwälzung der
Essgewohnheiten ihren Anfang, wie man sie andernorts nur mit der Infusion indischer Currygerichte in die vormals sturzlangweilige britische Küche vergleichen kann.
Deutsche Eisbein- und Pichelsteiner-Vertilger verwandelten sich in weltläufige Lasagneschlürfer und Lattetrinker.
Die USA fungierten auch später als Drehscheibe für neue und willkommene Essgewohnheiten. Der Sushi-Boom der 90er wäre ohne den vorausgegangenen Sushi-Hype an der amerikanischen Ostküste ("Wake up, little Sushi!") undenkbar. Toast Hawaii, der Snack der Wirtschaftswunderjahre, kam aus den USA. Auch die Chinawelle schwappte über die USA nach Holland und weiter nach Deutschland und hat mit den Ursprüngen in China nichts mehr gemein.
Über das Essen hat Deutschland erstaunlich viel Fremdes integriert. Hauptsache dabei: Es schmeckt.