07.10.2024 "Tatort"-Darsteller im Interview

Dagmar Manzel über "Tatort"-Aus: "Das wird mir einfach zu viel"

Von Julian Lorenz
Dagmar Manzel ermittelt in ihrem letzten "Tatort".
Dagmar Manzel ermittelt in ihrem letzten "Tatort". Fotoquelle: BR/Hager Moss Film GmbH/Bernd Schuller

In 'Tatort: Trotzdem' erleben Paula Ringelhahn und Felix Voss eine blutige Geschichte. Wir haben mit den Darstellern darüber gesprochen, was den Film so gut macht.

„Der Liebe Gott hat den ganzen Dreck erfunden, damit wir das, was schön ist, mehr schätzen“. Das sagt Paula Ringelhahn im “Tatort: Trotzdem”. Glauben Sie das?

Manzel: Wie Sie schon richtig angemerkt haben, ist es meine Rolle Paula Ringelhahn, die das sagt. Da geht es auch um die Geschichte, die in diesem „Tatort“ erzählt wird, denn das ist eine sehr blutige Geschichte. Und das ist eben Paulas Art, mit dieser Verzweiflung umzugehen. Ich persönlich sehe das nicht so.

Was ist Ihre Meinung dazu, Herr Hinrichs?

Hinrichs: Ich weiß nicht, ob der Herrgott überhaupt irgendetwas erfunden hat. Meine Einstellung ist ganz säkular: Ich sage Ja zum Leben. Das bedeutet für mich auch, ganz nietzeanisch: Ja zum Schmerz, Ja zur Freude und Ja zum Tod.

Sie waren gemeinsam in zehn fränkischen „Tatort“-Filmen zu sehen. Was war denn Ihr persönlicher Liebling?

Hinrichs: Es wäre nicht schön, müsste ich mich da jetzt festlegen. Natürlich kommen mir einige Titel in den Sinn, aber diese zu nennen wäre etwas ungerecht gegenüber den anderen Filmen, die auch atmosphärisch und erzählerisch dicht und intensiv waren. Wenn ich mich also festlegen müsste, dann würde ich die beiden Filme nennen, die eine biografische Bugwelle hinterlassen haben: Unseren ersten „Tatort: Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ und der vorletzte „Tatort: Hochamt für Toni“.

Manzel: Mir fällt es auch schwer, weil wir bei jedem „Tatort“ das Glück hatten, mit sehr talentierten Regisseuren arbeiten zu können. Ich habe jeden Tag Freude an der Arbeit beim „Tatort“ gehabt und fand es spannend, die unterschiedlichen Ansätze der Autoren miterleben zu dürfen.

Warum haben Sie sich denn dann entschieden, den „Tatort“ zu verlassen?

Manzel: Ich habe mich dazu entschieden, weil ich beruflich so viele andere Gebiete habe, in denen ich mich ausleben möchte. Ich konnte das nicht mehr vereinen. Ich trete auch an der Komischen Oper Berlin auf, da geht der Spielplan von September bis Juli. Da ich hier so viele Auftritte habe, waren die Dreharbeiten meist nur im Sommer möglich. Fabian hat aber eine Familie und möchte natürlich auch Urlaub machen, genauso wie ich. Deshalb war es immer eine logistische Meisterleistung, die Termine für die Dreharbeiten zu finden, und jetzt habe ich auch noch mit der Regie angefangen. Das wird mir einfach zu viel. Aber ich bin wirklich mit großer Freude und auch ein bisschen wirklich wehmütig gegangen, weil es eine schöne Zeit war, für die ich immer dankbar sein werde.

Das Drama im Film wird durch einen Justizirrtum ausgelöst – ein reales Problem. Das wird im Laufe des Films allerdings nicht weiter thematisiert.

Manzel: Meiner Meinung nach ist es nicht die Aufgabe des „Tatorts“, die grundlegenden Ursachen und die Wirkungen eines Falles zu beschreiben. Es geht um die Geschichte, die sich der Drehbuchautor und Regisseur ausgedacht hat und die er erzählen möchte. Wenn der Justizirrtum weiter ausgeführt worden wäre, wären andere Aspekte des Films verloren gegangen, die für diesen „Tatort“ ganz zentral waren.

Hinrichs: Ich sehe das wie Dagmar. Es geht im Film nicht darum, nacheinander alle Aspekte abzuhaken, die angeschnitten wurden. Mich stimmt es immer etwas melancholisch, wenn sowohl in der Rezeption als auch schon bei der Entwicklung eines Films anstatt der Atmosphäre ein Thema im Vordergrund steht. Das macht den Film mehr zu einer verfilmten Zeitung. So etwas kann eine Dokumentation oder Reportage viel besser. Was die Kunst kann, ist etwas, was nur die Kunst kann. Das sind Stimmungen, und Atmosphären, etwas wofür es keine Sprache gibt. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch ein Thema im Film geben sollte. Es ist nur nicht das Entscheidende.

Haben bekannte Reihen wie der „Tatort“ nicht auch die Verantwortung, sich mit Themen zu beschäftigen, die die Gesellschaft bewegen?

Hinrichs: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Ein „Tatort“ kann sich mit einem gesellschaftsrelevanten Thema befassen, aber das sagt noch nichts darüber aus, ob es ein guter Film ist. Natürlich kann es gut sein, die Aufmerksamkeit von Millionen Menschen auf so ein Thema zu lenken, aber das kann ja auch ein „ZDF-Spezial“, ein „ARD-Brennpunkt“ oder manchmal sogar ein Tweet. Die Rationalität, mit der wir einen Film beschreiben und mit der leider oftmals auch Filme gemacht werden, zeugen von einer großen, vernünftigen Distanz zur Welt. Und durch diese vernünftige Distanz zur Welt gibt es ja überhaupt so etwas wie Justiz und auch Justizirrtümer. Wenn man aber einen Film schafft, der diese Distanz zur Welt aufhebt, indem er spürbar macht, wie Menschen miteinander oder auch mit der Natur etwa umgehen, durch ergreifende Farben, Bilder, Klänge, Rhythmen, verdichtete Sprache, dann ist das doch der einzige Weg für einen Film, um dieses Diktat der Rationalität anzugreifen und eine filmische Wirklichkeit entstehen zu lassen.

Gelingt das denn dem „Tatort: Trotzdem“?

Manzel: Meiner Meinung nach ja. Der Ansatz ist der, dass so viele Menschen sterben, von denen doch alle leben wollten. Und dass die Verknüpfung der Missverständnisse, das Unausgesprochene, die Unfähigkeit zu kommunizieren und die gesellschaftlichen Traditionen, in denen sich die Figuren bewegen, überhaupt dazu führen, dass es so weit kommt. Das ist auch der Grund, weshalb der Fall für die Kriminalpolizisten so schwierig zu verarbeiten ist. Sie machen ihre Arbeit, weil sie etwas verändern wollen, aber haben das Gefühl, überhaupt nichts ausrichten zu können. Dabei arbeitet der Film auch viel mit Blicken und Stille, es muss nicht immer alles ausgesprochen werden.

Sie kennen ihre eigenen Rollen mittlerweile sehr gut. Haben Sie dadurch auch ein gewisses Mitspracherecht?

Manzel: Ja, und das war auch von Anfang an klar. Wir hatten immer sehr früh Drehbuch-Besprechungen, wo wir uns einbringen konnten. Fabian hat zum Beispiel oft gesagt: „Ich möchte das gerne umschreiben, das funktioniert nicht für mich. Hier ist mein Vorschlag.“ Das fand ich immer sehr angenehm. Man hat nicht einfach ein Drehbuch bekommen und musste sich daran halten, sondern man hatte selbst die Möglichkeit, den Film mitzugestalten. Auch, wenn Rollen besetzt werden mussten, wurden wir immer gefragt, ob wir jemanden kennen, der gut passen würde.

Wo können Zuschauer Sie in nächster Zeit noch sehen?

Manzel: Am 3. Oktober erscheint ein Film über die Eiskunstläuferin Katarina Witt und ihre Beziehung zu ihrer Trainerin Jutta Müller, die ich spiele. Außerdem inszeniere ich bald „Hänsel und Gretel“ für die Komische Oper Berlin.

Hinrichs: Ich schreibe schon länger an einem persönlichen Sachbuch für den Ullstein Verlag, was mich sehr beschäftigt hält. Außerdem erscheint bald der Kinofilm „Der Landesverräter“, ein ganz fantastischer Film von Michael Krummenacher, der in der Schweiz gedreht wurde. Und ich mache etwas, auf das ich sehr gespannt bin, weil es weder herkömmliches Theaterstück noch Kabarett ist: Das Haus der Bundespressekonferenz feiert ein Jubiläum und ich spiele, unter anderem mit Theo Koll, einen fiktiven, populistischen Ministerpräsidenten in insgesamt sechs Pressekonferenzen, der nach und nach das verfassungsrechtliche System auseinandernimmt. Außerdem drehe ich noch mit Kida Ramadan und Juri Sternburg die zweite Staffel der Serie „Asbest“ sowie einen Film mit Jürgen Vogel im Winter. Und ich spiele weiterhin das letzte gemeinsame Stück von René Pollesch und mir, „ja nichts ist ok“ an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, was mir sehr wichtig ist. René ist im Februar gestorben.

Tatort „Trotzdem“, 6. Oktober, 20.15 Uhr, ARD

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