"Polizeiruf"-Schauspieler

Peter Kurth: "Habe eine persönliche Beziehung zu Halle"

von Eric Leimann

Schauspieler Peter Kurth, der genauso lange in der DDR lebte wie im wiedervereinigten Deutschland, ermittelt zum 50-jährigen Bestehen des legendären TV-Formats "Polizeiruf 110" neu in Halle.

Peter Kurth ist eine der wenigen deutschen Schauspiel-Größen, die erst spät Karriere machten. 1957 kam er in der Mecklenburger Provinz zur Welt, studierte Schauspiel in Rostock und arbeitete an verschiedenen DDR-Theatern. Als die Mauer fiel, blieb er seinem Engagement in Karl-Marx-Stadt / Chemnitz treu. Erst 2000 wechselte er "in den Westen", ans Hamburger Thalia Theater. 2014 wurde Peter Kurth vom Magazin "Theater heute" als Schauspieler des Jahres ausgezeichnet. Wenig später gewann er für seine Titelrolle im Boxerdrama "Herbert" den Deutschen Filmpreis 2016 als bester Hauptdarsteller. Seitdem kommt man auch im Fernsehen kaum noch an Peter Kurth vorbei. Vor allem, wenn es um melancholisch wuchtige Rollen wie jene des neuen "Polizeiruf 110"-Ermittlers Henry Koitzsch geht. An der Seite seines jüngeren Kollegen Peter Schneider spielt Kurth im "Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande" (Sonntag, 30. Mai, 20.15 Uhr) einen trinkenden Kommissar, der – ohne die DDR zu erwähnen – als Muster- oder Mängelexemplar schwer beschädigter Ost-Biografien durchgeht. Viel Peter Kurth und wie viel DDR stecken im neuen "Polizeiruf" aus Halle?

prisma: Ihr Jubiläums-"Polizeiruf" spielt in der Gegenwart und thematisiert die Wende überhaupt nicht. Trotzdem glaubt man, in diesem Film viel DDR zu spüren.

Peter Kurth: Wir leben immer noch in einer Zeit, in der mehrere Generationen mit einem Systemwechsel innerhalb ihrer Biografie umgehen müssen, der mit Mauerfall, Wende und Wiedervereinigung benannt wird. Meine Figur Henry Koitzsch ist so alt wie ich, also Anfang 60. Ich habe dieses Jahr festgestellt, dass ich genauso lange in der DDR gelebt habe wie nun im wiedervereinigten Deutschland.

prisma: Was bedeutet Ihnen das?

Kurth: Mit Anfang 30 – so alt war ich, als die Mauer fiel – hatte ich mich schon in der Gesellschaft positioniert. Ich ging einem Beruf nach, ich hatte eine Familie und viele Fragen. In der Kunst geht es ja auch darum, aufzuzeigen, wo die Probleme einer Gesellschaft liegen, wo sich etwas verändern muss. Zumindest habe ich diesen Beruf immer so verstanden. Ich bin dann auch lange nach der Wende auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geblieben. Also an Theatern, die dort angesiedelt waren. Ein bisschen so ein Typ ist auch mein Ermittler im neuen "Polizeiruf". Ein Typ, der vor Ort weiter Dienst schiebt.

prisma: Das hört sich so an, als würde man dem Alten ein bisschen hinterhertrauern – oder dem Neuen noch nicht trauen?

Kurth: Es geht mehr um eine Begleitung der Veränderung. Darum, dass man selbst verstehen will, wie so ein Transformationsprozess abläuft, was er grundlegend mit den Menschen vor Ort macht. Dieser "Polizeiruf" ist voll von Figuren, die auf der Suche danach waren oder sind, wo ihr Platz in der Gegenwart ist. Einige tun sich schwer mit dieser Suche. Das hat zwar nicht nur mit dem Untergang der DDR und einem neuen Deutschland zu tun, in dem man nun lebt – aber auch.

prisma: Welche Rolle spielt die Arbeit bei dieser Suche?

Kurth: Eine sehr wichtige. Henry Koitzsch ist privat ziemlich haltlos. Die Arbeit ist ein Anker für ihn, der ihn am Boden festhält.

prisma: Zu Zeiten der DDR musste Systemkritik im "Polizeiruf" auf subtile Weise verpackt werden. So subtil wie in diesem Jubiläumsfall, bei dem man immer zu spüren glaubt, dass die Menschen eine schwere Wunde mit sich herumtragen?

Kurth: Ja, vielleicht. Ich sage mal, man kann nur vorwärts gehen, wenn man mit der Vergangenheit einigermaßen im Reinen ist. Ich finde, wenn man diese Erkenntnis auf Wende und Wiedervereinigung bezieht, ist das nach wie vor ein großes Thema in Deutschland. Es ist zwar schon gut 30 Jahre her, aber – es sind auch eben "erst" 30 Jahre.

prisma: Die Story in diesem Jubiläums-"Polizeiruf" ist sehr kleinteilig, sehr privat. Hätte man zu diesem Thema vielleicht einen politischeren "Polizeiruf" drehen sollen?

Kurth: Ich muss Ihnen widersprechen, weil ich diesen "Polizeiruf" sehr politisch finde. Unsere Themen sind im Hier und Jetzt der Menschen verortet. Insofern, denke ich, haben wir da einen politischen Film gedreht.

prisma: Sie meinen, wer das Leben der kleinen Leute betrachtet, findet darin die große Politik?

Kurth: Ja, genau.

prisma: Ist es gut, für solche Geschichten in eine eher unspektakuläre Stadt wie Halle zu gehen? Erinnert Halle noch ein bisschen mehr an die alte DDR als die großen Metropolen?

Kurth: Halle ist für unsere Geschichte eine sehr spannende Stadt. Außerdem habe ich eine persönliche Beziehung zur Stadt. Teile meiner Familie leben dort, und ich habe in meiner Kindheit dort jedes Jahr eine schöne Zeit verbracht.

prisma: Gibt es in Halle eine besondere Mentalität?

Kurth: Ja, durchaus. Die Hallenser sind sehr offene, freiheitsliebende Menschen. Man kann dort einen Bogen spannen von den ersten großen Plattenbauten der DDR, HA-NEU, bis zu der berühmten Kunsthochschule Burg Giebichenstein.

prisma: Wie verlief Ihre eigene Geschichte mit dem alten DDR-"Polizeiruf"? Haben Sie die Krimis damals im Fernsehen verfolgt?

Kurth: Es ist ja bekannt, dass man den "Polizeiruf" vor 50 Jahren in der DDR als Antwort auf den westdeutschen "Tatort" konzipierte. 1971 habe ich zwar noch nicht zugeschaut, aber später dann schon. Es war ein Programm, über das geredet wurde. Der "Polizeiruf" genoss viel Aufmerksamkeit, und man hat ihm erstaunlicherweise mehr Freiheiten gegeben. Unter dem Deckmantel der Kriminalgeschichte war definitiv mehr Systemkritik möglich.

prisma: Oft ging es ja gar nicht um Kapitalverbrechen wie Mord. War das so, weil man die Gesellschaft weniger kaputt zeichnen durfte als im Westen?

Kurth: Sagen wir so, die Gesellschaft wurde subtiler gezeichnet. Es ging dann zum Beispiel um den Alkoholismus des Nachbarn. Und man konnte darüber spekulieren, warum der Mann Probleme hatte und was sie vielleicht mit dem Leben in diesem Land zu tun haben könnten. Die Fälle waren alle sehr geerdet im Alltag und deshalb nicht unbedingt als politische Aussage zu erkennen. Der "Polizeiruf" war auch deshalb interessant, weil in den Filmen von der scheinbaren Gegenseite erzählt wurde. Allein von so etwas zu erzählen, war in der DDR aufregend – weil ja offiziell so getan wurde, als hätten alle die gleiche Meinung und würden an einem Strang ziehen.

prisma: Konnte sich der "Polizeiruf" mehr Systemkritik erlauben als andere Formate?

Kurth: Es gab in der DDR auch gar nicht so viel Fernsehen, das mit Kriminalität zu tun hatte. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Etwas derart Wildes wie den "Polizeiruf" gab es im DDR-Fernsehen sonst nicht, glaube ich.

prisma: Hatten Sie Lieblings-Kommissare in den alten DDR-"Polizeiruf"-Filmen?

Kurth: In den alten DDR-Polizeiruf-Folgen verzichtete man oft auf eine klassische Verortung oder einen festen Kommissar. Zwar tauchten Charaktere immer wieder auf, aber es war nicht so vorhersehbar wie heute. Es gab ein sehr gutes Ensemble von Kommissaren und genau das machte den Reiz aus. Der "Polizeiruf 110" war auf jeden Fall etwas ganz Besonderes in der DDR.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren