Ein Dorf soll dem Braunkohleabbau weichen

"Tatort: Abbruchkante": Der Weg der Kölner Ermittler führt in ein Geisterdorf

26.03.2023, 08.25 Uhr
von Eric Leimann

Für die Kölner Ermittler Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) geht es in die düstere Atmosphäre eines Geisterdorfes, das beinahe dem Braunkohleabbau zum Opfer gefallen wäre. Ein spannender neuer Fall für die "Tatort"-Kommissare.

ARD
Tatort: Abbruchkante
Kriminalfilm • 26.03.2023 • 20:15 Uhr

"Sleepwalk" heißt der Song dieses "Tatorts". Auch wenn im neuen Fall von Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) eine Gesangsversion des von Hawaii-Gitarren getragenen, melancholischen Oldies von 1959 gespielt wird: Die Original-Single des Duos Santo & Johnny war einer der ganz wenigen rein instrumentalen Nummer-1-Hits, den die US-Single-Charts gesehen haben. Melancholisch-nostalgisch ist auch die Geschichte dieses stimmungsvollen Kölner "Tatorts", der jedoch völlig auf Köln-Bilder verzichtet. Stattdessen unternehmen Max und Freddy einen Landausflug.

Das Dorf Alt-Bützenich sollte eigentlich platt gemacht werden und dem rheinischen Braunkohle-Bergbau zum Opfer fallen. "Der Konzern", wie es im Film heißt, hat den Menschen ein paar Kilometer weiter Neu-Bützenich hingestellt. Doch dann kamen die Klimakrise, ein Politikwechsel und der Beschluss: Die mittlerweile fast völlig verlassene Gemeinde bleibt stehen, auch wenn hier nur noch eine Handvoll Menschen zurückgeblieben, die meisten Fenster und Türen vernagelt sind und ein Sicherheitsdienst Patrouille fährt, um Plünderungen zu verhindern.

Kaum jemand konnte das Opfer leiden

In dieser düsteren Atmosphäre wird der Arzt des alten Dorfes, Dr. Christian Franzen (Leopold von Verschuer), erschossen. Abends war er von Neu-Bützenich aufgebrochen, weil es hieß, dass jemand in sein leer stehendes Haus im alten Ortsteil eingebrochen sei. Weil bei Freddys marodem Ami-Oldtimer ("da ist schon Clint Eastwood mit gefahren") die Beleuchtung schlapp macht, müssen die Kommissare im fast menschenleeren Alt-Bützenich übernachten. Was für ein Glück, dass Karin Bongartz (Barbara Nüsse) ihre alte Pension noch mal für die Herren aus Köln aufschließt und sie im Retro-Hotel übernachten lässt. Die kantig humorvolle ältere Dame führt die Kommissare auch in die Geschichte des Dorfes nahe der Abbruchkante zum Braunkohle-Tagebau ein.

Peu à peu lernt man jene Menschen kennen, die mit dem Tod des Arztes zu tun haben (könnten): dessen deutlich jüngere Frau Betje (Loun Strenger), die eine kleine Tochter hat, Rentner Peter Schnitzler (Peter Franke), der nicht über den Verlust seines Hauses hinwegkam und dessen Enkel Yannik (Leonard Kunz), der bei jenem Wachdienst arbeitet, der im verlassenen Dorf nach dem Rechten schaut. Auch das Ehepaar Konrad (Jörn Hentschel) und Martina Baumann (Daniela Wutte) gehört zu den wenigen Zurückgebliebenen in Alt-Bützenich. Hatten auch sie eine Beziehung zum Opfer, das übrigens kaum jemand leiden konnte? Nach und nach blättern Max und Freddy die Geschichte eines Dorfes und seiner Bewohner auf – wobei die Einsamkeit des Ortes Max Ballauf auch über die eigene Wurzellosigkeit nachdenken lässt. Ein guter Moment, um wieder Kontakt zu Ex-Liebe Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) aufzunehmen, findet er.

Wunderbar melancholischen Bilder und feine Dialoge

Das renommierte Drehbuch-Duo Volker und Eva Zahn, das zuletzt den Rheindampfer-Geiselnahme-Fall "Hubertys Rache" (2022) für die Kölner Ermittler aufs Papier brachte, hat mit dem zweiten "Tatort" einen deutlich besseren Job gemacht als beim nicht immer plausiblen Action-Fall auf dem Ausflugsboot. In "Abbruchkante" stimmen nicht nur die wunderbar melancholischen Bilder eines verlassenen Ortes (Kamera: Theo Bierkens, Regie: Torsten C. Fischer). Über den gut gebauten Plot, feine Dialoge und vor allem ein durch die Bank weg starkes Schauspiel-Ensemble werden die Geschichten um "abgebrochene" Biografien nahe der Abbruchkante ziemlich genial verkörpert: Altstar Peter Franke, 81, war zuletzt als demenzkranker Psychotherapeut im starken Münchener "Tatort: Flash" zu sehen. Auch Barbara Nüsse, mit 80 Jahren immer noch Ensemblemitglied des Thalia Theaters in Hamburg, ist als verschmitztes Dorfgedächtnis eine Klasse für sich.

Auch wenn man in "Abbruchkante" hier und da leichte Krimi-Bausatz-Arrangements erkennt: Der neue Fall von Ballauf und Schenk ist ein sehr gelungenes und vor allem stimmungsvolles Krimi-Drama, das einen über die Bedeutung biografischer Orte, Wurzellosigkeit und auch "Abbrüche" in der persönlichen Biografie nachdenken lässt. Trotz dieses Subtextes bleibt der Krimi – typisch für die Kölner Fälle – geerdet und ist alles andere als ein Arthaus-"Tatort".

Tatort: Abbruchkante – So. 26.03. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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