Bei "Hart aber fair"

Debatte zur Kindergrundsicherung: Alleinerziehende klagt an: "Warum muss das immer ein Kampf sein?"

29.08.2023, 09.03 Uhr
von Doris Neubauer

Am Montagabend wurde bei "Hart aber fair" über die Kindergrundsicherung diskutiert, auf die sich die Ampelregierung einigen konnte. Dazu bezog Grünen-Politikerin Ricarda Lang Stellung und traf i der Sendung nicht nur auf (politische) Kritiker, sondern auch auf eine Betroffene.

"Bitte, bitte" sagen, muss Andrea Zinhard sehr oft: beim Staat, bei Fördervereinen, bei karitativen Einrichtungen. Seit 2021 bezieht die zweifache Alleinerzieherin volle Erwerbsminderungsrente, aufgestockt mit Bürgergeld. Nach Abzug der Fixkosten stehen ihr damit pro Tag knapp 23 Euro für sich, ihren 12-jährigen Sohn und ihre 16-jährige Tochter zur Verfügung. Der Taschenrechner oder das iPad für die Schule sind damit genauso wenig drin wie ein Musicalbesuch oder auch nur die Mettwurst.

"Die Transparenz fehlt. Man weiß wirklich nicht, wo man was beantragen kann."

"Es ist häufig so, dass man sich hängengelassen fühlt", meinte Zinhard auf die Frage von "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth, ob sie sich denn vom Staat genügend unterstützt fühle. "Die Transparenz fehlt. Man weiß wirklich nicht, wo man was beantragen kann." Dann werde vieles erstmal abgelehnt. "Ich weiß nicht, wie oft ich anwaltlich dagegen vorgegangen bin und dann doch Geld bekommen habe. "Warum muss das immer ein Kampf sein?", fragte sie am Montagabend im ARD-Talk.

Die am Sonntagabend beschlossene Kindergrundsicherung – bestehend aus einem einkommensunabhängigen "Kindergarantiebetrag" (bisher bekannt als Kindergeld) sowie einem alters- und einkommensabhängigen "Kinderzusatzbetrag" – wird Zinhard die erhoffte Erleichterung nicht verschaffen.

Einfacher werde die Situation durch die Kindergrundsicherung, mehr Geld bekommt Zinhard allerdings nicht. Denn "damit man mehr vom Unterhalt behalten darf, muss man arbeiten und mindestens 600 Euro verdienen", zitierte Louis Klamroth Finanzminister Christian Lindner (FDP) und bohrte irritiert nach: "Jetzt kann sie (Zinhard) leider nicht arbeiten, weil sie eine chronische Krankheit hat. Hat sie also nichts davon?" Eine Frage, auf die Ricarda Lang nach einigem Nachhaken tatsächlich die enttäuschende Antwort geben muss: "Ich fände es auch besser, wenn man es auf Fälle wie Ihre anwenden könnten." Es gebe Menschen, die nicht arbeiten können. "Und es ist ungerecht – das sage ich auch gern offen -, dass darunter am Ende die Kinder leiden." Diese Aspekte wollen die Grünen im Gesetzgebungsverfahren noch anschauen.

"Am Ende hilft gegen Armut immer noch am besten Geld"

Dass überhaupt eine Einigung bei der Kindergrundsicherung erzielt wurde, kam für alle überraschend: Eigentlich hätte Lang mit CDU-Politikerin Serap Güler, Ökonom Stefan Kooths, "Zeit"-Journalistin und Autorin Anna Mayr und dem Ehrenpräsidenten des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, am Montag über den monatelangen Streit der Ampelregierung zur Kindergrundsicherung debattieren sollen. Dann lag über Nacht doch plötzlich eine Einigung auf dem Tisch.

Raum für Diskussion gab es um das "wichtigste sozialpolitische Projekt vor allem der Grünen" (Klamroth) dennoch. Familienministerin Paus (Grüne) wollte 12 Milliarden Euro, es wurden nur 2.4 Milliarden Euro. "Wie enttäuscht sind Sie?", fragte Klamroth Ricarda Lang. Von einer möglichen Enttäuschung wollte Lang nichts wissen und sprach von einem "Paradigmenwechsel" sowie einem "Systemwandel von einer Holschuld, wo sich Eltern durch den Bürokratiedschungel von 175 verschiedenen Leistungen wühlen müssen, hin zu einer Bringschuld."

Serap Güler sieht das anders: Für sie wurde "viel mehr angekündigt, als herausgekommen ist". Leistungen zu bündeln sei sinnvoll. Ob es für die versprochene Bürokratieerleichterung ausreicht, bezweifelte sie allerdings, schließlich seien in Zukunft "alle Leistungen nur über die Familienkassen abzurufen, wo wir eine Infrastruktur aufbauen müssen". Es gebe bundesweit nur 100 Anlaufstellen für eine Familienkasse. Journalistin Anna Mayr verwies hingegen auf den emotionalen Unterschied für Familien, ob das Kindergeld vom Jobcenter oder von der Familienstelle käme. Aber: "Am Ende hilft gegen Armut immer noch am besten Geld."

Ökonom Kooths: "Kinder leben nicht im luftleeren Raum"

Über drei Millionen Kinder sind armutsgefährdet, wusste Heinz Hilgers und zeigte das strukturelle Problem auf: "Der Großteil hat Eltern, die erwerbstätig sind." Die Kindergrundsicherung im Gießkannenprinzip zu verteilen, reiche deshalb nicht aus, bestätigte Ökonom Kooths. Er plädierte, über das Wohl der Kinder nicht isoliert zu sprechen, sondern verschiedene Maßnahmen aufeinander abzustimmen. Denn "Kinder leben nicht im luftleeren Raum, sondern im Familienverbund." Deshalb sei die Frage der Betreuung ebenfalls zu klären.

Mit seinem Kommentar, dass Kinderarmut bei Deutschen zurückgegangen, bei ab 2015 neu Eingewanderten hingegen angestiegen sei, hatte Finanzminister Christian Lindner für Wirbel gesorgt. Die Frage, ob mehr Geld auf dem Konto oder Investition in die Infrastruktur von Kitas die bessere Lösung sei, hält Grünen-Politikerin Lang für falsch: "Es sind zwei Seiten einer Medaille", meinte sie, "wer Integration und Armutsbekämpfung gegeneinander ausspielt, hilft niemandem. Man braucht Geld am Konto, dass man sich Turnschuhe leisten kann und gleichzeitig Integrationsbemühungen." Dass die Regierung an einer solchen Rundum-Lösung arbeitet, bezweifelte CDU-Politikerin Güler und verwies auf das Haushaltsbudget: "Integrations- und Migrationsberatungen sind um 30 Prozent gekürzt, die Sprach-Kita gestrichen. Man sagt zwar, mehr Geld in Integration und in Sprachkurse zu investieren, aber genau das Gegenteil ist passiert."

Ernüchternd fällt das Fazit der alleinerziehenden Mutter Andrea Zinhard aus: "Wurde das Thema, mit dem Sie im Alltag zu kämpfen haben, verstanden?", fragte Louis Klamroth am Ende der Sendung. "Nicht so richtig", meinte sie sichtlich beklommen, "für uns Familien, die am unteren Existenzminimum leben, ist es ein Schlag ins Gesicht". Die Ampelkoalition will bis Mitte September einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegen, der danach im Bundestag beraten wird.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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