Zu Gast bei Lanz

David Precht: "Corona-Leugner arbeiten selten auf Intensivstationen"

Ist das deutsche Gemeinwesen wegen der andauernden Corona-Krise in Gefahr? Diese Frage diskutierte Markus Lanz am Donnerstag mit dem Philosophen und Autoren Richard David Precht.

"Mütend" ist das Wort der Stunde: Die Neuschöpfung aus den Adjektiven "müde" und "wütend" beschreibt seit etwa einer Woche den Gemütszustand vieler Menschen in Deutschland. Viele sind enttäuscht von der Regierung, viele fordern ihre Rechte zurück. Doch was sagt das über die Gesellschaft als Ganzes aus? Besteht in der aktuellen Situation nicht vielmehr eine Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Gemeinwohl und wie könnte eben jenes gefördert werden? All diese Fragen diskutierte Markus Lanz in seiner gleichnamigen ZDF-Talkshow am Donnerstagabend mit dem Philosophen und Autoren Richard David Precht.

"Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen glauben, sie könnten vom Staat immer kriegen", beklagte Precht. Im Wahlkampf etwa würden dem Wähler immer nur Erleichterungen versprochen. Das führe dazu, dass der Bürger eine "kundenartige Erwartung an den Staat" hege, nach dem Motto: Der Staat ist dafür da, Rechte zu garantieren, darf im Gegenzug aber nichts dafür verlangen. Dem Philosophen bereitet dies Sorge: "Der Staat ist darauf angewiesen, dass die Menschen ein Verantwortungsgefühl nicht nur für sich haben, sondern auch für die Gemeinschaft", erklärte er. Deshalb sei es wichtig, sich zu fragen, wie man Gemeinwohl wieder fördern könne.

Mit Blick auf die Pandemie hakte Lanz an diesem Punkt nach: Wie sehe es aus, wenn die vulnerable Zielgruppe, zu deren Schutz sich alle eingeschränkt hätten, irgendwann geschützt sei? Müsse der Staat den Bürgern dann wieder etwas von ihren Rechten zurückgeben? Precht bestätigte: "Wenn die besonders gefährdeten Zielgruppen durchgeimpft sind, [...] ist es extrem schwer, weiter Maßnahmen aufrechtzuerhalten." Schließlich sei es nicht die Aufgabe des Staates, "mich vor mir selbst zu schützen". Ihn gehe lediglich "meine Gefährlichkeit für andere" etwas an. "Der Staat kann nicht so weit gehen und kann sagen: Solange Menschen voneinander angesteckt werden können, gibt es Maßnahmen. Dann ist die Angemessenheit weg." Einzige Ausnahme sei, wenn die bisherige Impfung gegen die Mutationen nicht mehr wirke.

Mit Blick in die Vergangenheit erläuterte der 56-Jährige zudem den Begriff der Pflicht: : In früheren Zeiten, so Precht, hätten die Menschen als Untertanen "lauter fiese Pflichten" gegenüber dem Staat gehabt. Dieses Verhältnis hätte sich im Laufe der Zeit immer weiter verändert: "Es sind immer mehr Rechte dazu gekommen und die Pflichten sind weniger geworden." Natürlich begrüße er diese Entwicklung. Allerdings befürchte er gleichzeitig, dass der Mensch irgendwann kein Pflichtbewusstsein mehr habe: "Corona-Leugner arbeiten selten auf Intensiv-Stationen. Menschen, die sich sehr stark für andere engagieren, finden sich sehr selten bei Querdenker-Demos. Ich glaube, je mehr man in einem empathischen Zusammenhang ist, je mehr man fürs Gemeinwohl tut, je mehr man sich einbringt, umso stärker ist man dagegen gefeit, solche idiotischen Positionen zu beziehen." Deswegen plädierte er im weiteren Verlauf für ein soziales Pflichtjahr nach der Schule, gleichzeitig aber auch eines zum Eintritt ins Rentenalter. Denn daraus könnte der Mensch eine positive Erfahrung für sich selbst mitnehmen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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